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Tödliche Gier

Tödliche Gier

Titel: Tödliche Gier
Autoren: Sue Grafton
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befreien. Die Beine schienen unter ihm nachzugeben, und er ging in die Knie. Aus seiner Nase lief Blut. Er stöhnte und sah benebelt zu seinem Bruder auf. Richard trat nach ihm. Dann bückte er sich und wand die Pistole aus Tommys zähem Griff. Er trat zurück und zielte mit der Davis auf seinen Bruder. Fast träge hob Tommy eine Hand und sagte: »Ach, Richie, nicht.«
    Richard schoss. Die Kugel bohrte sich in Tommys Brust, doch es dauerte eine Weile, bis Blut kam.
    Richard blickte ausdruckslos auf den Körper seines Bruders herab und stieß ihn mit dem Fuß an. »Geschieht dir recht, du kleiner Scheißkerl. Mach mir bloß keinen Vorwurf.«
    Er warf die Pistole beiseite. Ich hörte sie über den Garagenboden klappern und unter den Pick-up schlittern. Er drückte den Knopf, der die andere Garagentür öffnete. Scheinbar völlig gelassen ging er um den roten Porsche herum zum schwarzen und stieg ein. Dann ließ er den Wagen an und legte den Rückwärtsgang ein. Mit jaulendem Motor fuhr er rückwärts aus der Garage und die Einfahrt hinab.
    Auf Händen und Füßen kroch ich um die Schnauze des Pick-ups. Ich robbte zu Tommy hinüber und fühlte seinen Puls, doch er war tot. Vor mir lag die Pistole. Ich wollte sie gerade aufheben, ließ dann aber die Finger davon. Meine Hand zuckte so abrupt zurück wie die eines Piloten, der eine Landung abbricht. Auf keinen Fall würde ich die Fingerabdrücke verwischen, die Richard auf der Waffe hinterlassen hatte. Ich stand auf und trat durch die Hintertür, die ich hinter mir verriegelte, bevor ich zum Telefon ging. Ich fror vor Angst, weil ich fürchtete, Richard werde zurückkommen und auf mich losgehen.
    Ich wählte 911 und berichtete der Frau vom Polizeinotruf von der Schießerei. Ich erklärte, wer der Schütze war, nannte ihr seinen Namen, beschrieb seinen Porsche und buchstabierte dessen Nummer, H-E-V-E-N-E-R-1. Ich gab ihr die Adresse in Horton Ravine und wiederholte alles noch einmal. Sie bat mich, am Tatort zu bleiben, bis die Polizei einträfe. »Sicher«, sagte ich und legte auf. Dann rief ich Lonnie an.

24

    Um Mitternacht kam ich endlich ins Bett. Die Detectives Paglia und Odessa trafen kurz nach Lonnie bei den Heveners ein, und zumindest taten sie so, als hätten sie Mitgefühl, während sie mit mir die Ereignisse besprachen, die zu Tommys Tod geführt hatten. Sie betrachteten mich als Zeugin, nicht als Verdächtige, was ihren Umgang mit mir massiv beeinflusste. Lonnie beobachtete sie trotzdem mit Argusaugen und trat jedes Mal zum Schutz meiner Rechte ein, wenn er fand, sie hätten im Zuge des Verhörs die Grenze überschritten. Die Untersuchung des Tatorts dauerte eine halbe Ewigkeit: Fingerabdrücke, Zeichnungen und Fotos und dazu die endlose Erzählschleife, in der ich alles wieder und wieder bis in die kleinste Einzelheit darlegte. Die Davis wurde als Beweisstück eingetütet und etikettiert. Vermutlich würde es ein Jahr dauern, bis ich die Waffe wiedersah. Richard Hevener wurde binnen einer Stunde gefasst, als er in südlicher Richtung auf der 101 fuhr, auf dem Weg nach Los Angeles. Nach wie vor hielt ich es für entfernt möglich, dass er den Schmuck an sich genommen hatte, aber überzeugt war ich davon nicht. Lonnie fuhr mich schließlich heim.

    Am Montagmorgen sparte ich mir erst den Dauerlauf und dann das Training im Fitnessstudio. Ich fühlte mich steif und gerädert, und mein ganzer Körper war ein Flickwerk aus Blutergüssen. Auch emotional kam ich mir wie geprügelt vor. Ich fuhr zum Büro und drehte mehrere Runden, bis ich schließlich fast sechs Blocks weiter eine Parklücke fand. Ich humpelte den Weg zurück und fuhr mit dem Aufzug nach oben. Als ich die Kanzlei betrat, saß Jeniffer an ihrem Schreibtisch und trug eine letzte Schicht Nagellack auf ihre Fingernägel auf. Ausnahmsweise schienen Ida Ruth und Jill einmal kein Interesse daran zu haben, sie zu bespitzeln. Ich traf die zwei an, wie sie im Flur miteinander plauderten. Bei meinem Anblick verstummten sie und bedachten mich mit mitfühlenden Blicken. Jill sagte: »Hinten gibt’s Kaffee. Soll ich dir einen Becher bringen?«
    »Das wäre schön.«
    Ich ging in mein Büro und wählte Fionas Nummer. Als sie sich meldete, wechselten wir die üblichen Floskeln. Ich nahm an, dass sie nichts von der Schießerei gehört hatte, weil sie sie nicht erwähnte. Vielleicht war es ihr aber auch egal. Bei ihr war das durchaus denkbar.
    Im Hintergrund konnte ich hören, wie Metall klirrte, Stühle über den
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