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Toechter Der Suende

Toechter Der Suende

Titel: Toechter Der Suende
Autoren: Iny Lorentz
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sie musste sich an dem Tau festhalten, das als Geländer diente. Unten traf sie auf Hildegard, die eben den Ruf des Türmers gehört hatte.
    »Aber Mama!«, sagte diese. »Deswegen hättest du dich nicht die Treppe herabquälen müssen. Ich hätte den Gast schon zu dir geführt.«
    Marie lächelte. »Irgendetwas in mir sagt, dass der Mann nicht nur ein Reisender ist, der sich bei uns eine Unterkunft für die Nacht erhofft.«
    »Dafür wäre es auch noch ein wenig zu früh. Wir könnten ihn höchstens zum Mittagessen einladen.« Hildegard streckte ihrer Ziehmutter den Arm hin, damit diese sich an ihr festhalten konnte, und führte sie in den Hof.
    Unterdessen hatte der Fremde die Burg erreicht und blieb vor dem Tor stehen. Der Türmer blickte zu ihm hinab und wusste nicht, ob er ihn einlassen sollte.
    »Wer ist es?«, rief Marie zu ihm hoch.
    »Nur ein Bettler! Der Kerl sieht übel aus. Besser, wir schicken ihn weiter«, rief der Mann vom Turm herab.
    Marie schüttelte den Kopf. »Gott hat uns im letzten Jahr mit einer guten Ernte gesegnet, und auch heuer stehen Korn und Wein gut. Daher ist es unsere Pflicht, Mitleid mit den Armen zu haben.«
    »Wenn Ihr meint! Aber was ist, wenn er krank ist?«
    »Dann wird Gott seine schützende Hand über uns halten.« Diesmal klang Marie harsch, denn sie mochte es nicht, wenn die Knechte ihre Entscheidungen in Frage stellten.
    Es wird Zeit, dass der Junge wieder zurückkommt, dachte sie, während der Türmer von seinem Aussichtsposten herabstieg und die kleine Pforte öffnete, die im Burgtor eingelassen war.
    Der Fremde, der hereinwankte, bot ein Bild des Elends. Sein Kittel war an vielen Stellen zerrissen, Haar und Bart waren verfilzt, und er sah so mager aus, als wäre er am Verhungern. Auf seinen Stab gestützt, kam er auf die beiden Frauen zu und starrte sie an, als könne er nicht glauben, sie vor sich zu sehen. Schließlich sank er vor Hildegard auf die Knie, nestelte unter seinem Kittel herum und brachte eine große braune Muschel zum Vorschein.
    »Hier, Herrin! Ich habe das Ziel meiner Wanderschaft erreicht!«, flüsterte er und sank ohnmächtig nieder.
    »Er ist wirklich krank«, rief der Torwächter und wich vor ihm zurück.
    »Du bist ein Narr!«, schalt ihn Marie. »Der Mann ist erschöpft vom langen Weg. Ich frage mich nur, wer es sein kann.«
    Hildegard betrachtete den Liegenden und rieb sich die Schläfen. »Du magst mich für verrückt halten, Mama, aber könnte es nicht der Junker von Reckendorf sein?«
    Marie lachte auf. »Reckendorf würde hier nur hoch zu Ross und mit mindestens einem Dutzend Begleitern erscheinen. Wieso denkst du überhaupt an ihn?«
    »Mir ist in den vergangenen Monaten einiges durch den Kopf gegangen, Mama, auch über Reckendorf. Zwar war ich seine Gefangene, und er hat versucht, mich zu demütigen. Doch er hat mir weder selbst Gewalt angetan noch mich – wie von diesem elenden Bertschmann gefordert – seinen Männern überlassen.«
    »Bist du ihm dafür vielleicht noch dankbar?« Marie blies verächtlich die Luft durch die Nase, musste sich aber selbst sagen, dass Reckendorf ihr dadurch weiteren Schmerz erspart hatte. Doch sie mochte nicht glauben, dass dieser lumpige Bettler vor ihren Füßen der überstolze Edelmann sein sollte.
    »Die Mägde sollen sich um ihn kümmern. Als Erstes hat er ein Bad dringend nötig. Sie sollen ihm auch Wein geben, damit er wieder zu Kräften kommt, und eine Hühnerbrühe. Ich werde später nach ihm sehen, ob er eine Arznei braucht.« Mit diesen Worten drehte Marie sich um und kehrte in den Palas der Burg zurück.
    Hildegard rief zwei Frauen zu sich und befahl ihnen, den Bewusstlosen in die Waschstube zu bringen. »Badet ihn und flößt ihm ein wenig Wein ein«, befahl sie und eilte davon, um einen Kittel zu holen, den der Mann statt des zerrissenen anziehen konnte. Unterwegs besorgte sie sich auch noch eine Schere und ein Schermesser.
    Als sie in die Waschkammer kam, hatten die Mägde den Mann bereits entkleidet und in einen Bottich gesteckt. Eine von beiden sah Hildegard spöttisch an.
    »Was wollt Ihr hier? Für eine Jungfer ist dieser Anblick nichts!«
    Ihre Freundin kicherte, und auch um Hildegards Lippen zuckte es verdächtig. »Und wie steht es um euch beide?«, fragte sie.
    »Ob ich noch Jungfrau bin oder nicht, will ich lieber für mich behalten!« Die Magd zwinkerte Hildegard zu und schüttete etwas von dem duftenden Kräuteraufguss ins Badewasser, da der Fremde streng roch.
    Während die andere
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