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Töchter der Sechs (German Edition)

Töchter der Sechs (German Edition)

Titel: Töchter der Sechs (German Edition)
Autoren: Anja Buchmann
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Die Götter vergalten ihr ihre Opfer und linderten ihre Seelenqual.
 
    Nur die letzten zwei Sätze deckten sich nicht mit ihren Erinnerungen. Wie konnte das, was sie hier tat, Einfluss auf Elec haben. Elec war tot, oder etwa doch nicht. Auch war ihre Seelenpein keineswegs verschwunden, bestenfalls verdrängt. Sollte dies ein Versprechen der Götter sein? Vielleicht würde der zweite Teil des Textes Antworten liefern. 
    Sie begann auf dem sechsten Feld der ersten Zeile und durchschritt diese Tempelhälfte spiegelverkehrt zur rechten. Dabei ergab sich Wort für Wort ein Text, der ihr den Atem verschlug, noch bevor sie ihn beendet hatte: 
    Die gemeinsame Reise öffnete ihm Augen und Herz für sein Land. Doch die Götter rissen ihn los von dem, für den sein Herz schlug. Sein Lebensmut sank und er verfluchte die Götter ob dieser Ungerechtigkeit. Dennoch wollte er das Vermächtnis bewahren. Er verschloss seine Gefühle, die Trauer, die Wut, den Schmerz, und tat, was getan werden musste, um den Traum seiner verlorenen Liebe erfüllen zu können. Die Liebe wird den Welten-Nebel zerreißen.
 
    Wenn das wahr wäre, so war Elec am Leben. Ihr Herz machte einen Sprung. Er war am Leben und dabei, die Aufgabe, die die Götter ihnen gestellt hatten, zu vollenden. Außerdem sprach der Text davon, dass auch er sie liebte. Wenn sie nur einen Weg hätte, zu ihm zu gelangen. Aber ohne Proviant und Wasserschläuche würde sie nicht aus der Wüste herauskommen. Noch immer stand sie auf dem sechsten Feld der zwölften Zeile. Hier stießen die beiden Texte aneinander. War dies ein Zeichen. Würden sie wieder zusammenfinden? Ganz in Gedanken trat sie mit einem Fuß auf das siebte Feld der Zeile. Plötzlich erstrahlte alles in einem hellen Licht. Sie schwebte in göttlichem Licht und Klang.
     
    Jahr 3620 Mond 5 Tag 21
    Palast in Heet
    Die Trauerzeit für seinen Vater war vorüber. Heute würde er zum König gekrönt werden. Die Feierlichkeiten dazu würden erst am Abend stattfinden. Den Tag wollte er im Palastgarten verbringen, um etwas allein zu sein. Als er den Daro-Baum erreichte, lehnte er sich an den Stamm. Hier hatte er Mawen zum ersten Mal getroffen. Zum ersten Mal seit Tagen gestattete er sich einen Gedanken an den Gelehrten. Er weinte. Erstmals vergoss er Tränen über seinen Verlust und sie weichten den Schutzschild auf, das er um sein Herz errichtet hatte. Aller Schmerz, aller Gram brachen sich Bahn und strömte aus ihm heraus. Das Übermaß an Gefühlen ließ ihn auf die Knie sinken und er vergrub sein Gesicht in den Händen. Nur langsam verringerte sich die Heftigkeit des Schmerzes und ließ Raum für andere Emotionen und Gedanken. Er verspürte Dankbarkeit für die Zeit, die er mit Mawen hatte verbringen dürfen. Der Gelehrte hatte ihm so viel beigebracht, ihm so viel gegeben und nun konnte er es ihm nicht mehr vergelten. Doch wenn es ihm auch unmöglich war, sein weiteres Leben mit ihm zu teilen, so würde er sein Leben nun Mawens Traum widmen, einer Freundschaft ihrer beiden Völker. Vielleicht stimmte es ja, was Zada gesagt hatte und die Toten umgaben die Lebenden. So würde Mawen wenigstens diesen Beweis seiner Liebe sehen können. 
    Kurz nach Mawens Tod war er zu sehr von Sinnen gewesen, um über seine Liebe zu dem Gelehrten nachzudenken. Er hatte nur erkannt, dass er Mawen liebte. Auf welche Weise war damals nebensächlich gewesen. Jetzt aber hatte er das Verlangen, dieses Wort 'Liebe' mit Inhalt zu füllen. Das war er Mawen schuldig. Es war nicht ungewöhnlich, dass Männer einander liebten, aber auf eine Art und Weise, wie es Brüder zu tun pflegten. Elec aber war bewusst, dass seine Empfindungen Mawen gegenüber anderer Natur gewesen waren. Die Anziehung, die zwischen ihnen bestand, war schon bei ihrem ersten Zusammentreffen zu spüren gewesen und war in dem Maße gestiegen, in dem sie einander besser kennenlernten. Zunächst hatte sie nur auf geistiger und intellektueller Ebene bestanden, doch spätestens in jener Nacht am Rande der Wüste hatte er gespürt, dass sie sich auch auf die körperliche Ebene erstreckte. In Helwa wurde eine körperliche Beziehung zwischen zwei Männern als Frevel angesehen und früher war Elec geneigt gewesen, dem zuzustimmen. Vielleicht war es besser, dass Mawen nicht mehr bei ihm war, denn Elec wusste nicht, ob er je die Kraft gefunden hätte, in vollem Umfang zu seinen Gefühlen zu stehen. Möglicherweise war das der Grund, der die Götter bewogen hatte, ihm seine Liebe zu
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