Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todeszeit

Todeszeit

Titel: Todeszeit
Autoren: D Koontz
Vom Netzwerk:
nicht mehr zu hören war.
    Wenn er das Geheimnis von Hollys Entführung für sich behielt, dann stand er den Kidnappern ganz allein gegenüber.
    Allein taugte er nicht viel. Er war zusammen mit drei Schwestern und einem Bruder aufgewachsen, die alle innerhalb
von sieben Jahren geboren waren. Sie hatten sich gegenseitig ihre Geheimnisse anvertraut, sich Ratschläge gegeben und einander verteidigt.
    Ein Jahr nach seinem Highschoolabschluss war er von zu Hause ausgezogen, um sich zusammen mit einem Freund eine Wohnung zu mieten. Später war er dann in seine eigene Bude gezogen, wo er sich isoliert gefühlt hatte. Deshalb hatte er sechzig und mehr Stunden pro Woche gearbeitet, nur um nicht allein herumzusitzen.
    Er hatte sich erst dann wieder vollständig, ausgefüllt und mit seiner Umgebung verbunden gefühlt, als Holly in sein Leben getreten war. Ich war ein kaltes Wort, wir hatte einen wärmeren Klang. Es schlüpfte sanfter ins Ohr.
    Die Augen von Lieutenant Taggart sahen weniger furchterregend aus als bisher.
    »Tja …«, sagte Mitch.
    Der Kriminalbeamte leckte sich die Lippen.
    Die Luft war warm und nicht besonders feucht. Auch Mitchs Lippen fühlten sich trocken an.
    Dass die rosa Zunge seines Gegenübers erschienen und gleich wieder verschwunden war, kam Mitch regelrecht reptilienhaft vor. Es war, als hätte der Beamte im Geiste schon die Beute gekostet, die er gleich machen würde.
    Die Vorstellung, ein Beamter der Mordkommission könnte mit Hollys Entführern unter einer Decke stecken, war ebenso irrsinnig wie paranoid. Aber wenn es doch so war, dann war dieses Zwiegespräch zwischen Zeuge und Ermittler in Wirklichkeit womöglich der letzte Test, ob Mitch bereit war, die Anweisungen der Kidnapper zu befolgen.
    In Mitchs Kopf läuteten sämtliche Alarmglocken, die rationalen wie die irrationalen. Das Durcheinander aus wuchernden Ängsten und düsteren Ahnungen verhinderte jeden klaren Gedanken.

    Wenn er Taggart die Wahrheit verriet, würde dieser womöglich das Gesicht verziehen und sagen: Jetzt müssen wir Ihre Frau töten, Mr. Rafferty. Wir können Ihnen nicht mehr vertrauen. Aber Sie dürfen wählen, was wir ihr zuerst abschneiden – die Finger oder die Ohren.
    Wie vorher, als er vor dem Toten gestanden hatte, fühlte Mitch sich beobachtet, nicht nur von Taggart und den Tee trinkenden Nachbarn, sondern von jemandem, der unsichtbar blieb. Beobachtet und unter die Lupe genommen.
    »Nein, Lieutenant«, sagte er. »Sonst gibt es nichts zu sagen.«
    Der Beamte zog seine Sonnenbrille aus der Brusttasche und setzte sie auf.
    Fast hätte Mitch das doppelte Spiegelbild seines Gesichts in den beiden Gläsern nicht erkannt. Deren Biegung verzerrte es so, dass es alt aussah.
    »Ich habe Ihnen meine Visitenkarte gegeben«, erinnerte ihn Taggart.
    »Ja, Sir. Die habe ich.«
    »Rufen Sie mich an, wenn Ihnen etwas einfällt, was Sie für wichtig halten.«
    Das glatte, ausdruckslose Glänzen der Brillengläser war wie der Blick eines Insekts: gefühllos, gierig, gefräßig.
    »Sie kommen mir nervös vor, Mr. Rafferty«, sagte Taggart.
    Mitch hob die Hände, um zu zeigen, wie sehr sie zitterten. »Nicht nervös, Lieutenant. Erschüttert. Schwer erschüttert. «
    Taggart leckte sich erneut die Lippen.
    »Ich hab noch nie gesehen, wie ein Mann ermordet wurde«, sagte Mitch.
    »Daran gewöhnt man sich nicht«, sagte der Beamte.
    Mitch ließ die Hände sinken. »Kann ich mir vorstellen.«

    »Noch schlimmer ist es, wenn es sich um eine Frau handelt. «
    Was Mitch mit dieser Aussage anfangen sollte, wusste er nicht recht. Vielleicht bezog sie sich einfach nur auf das, was man empfand, wenn man ständig mit Morden zu tun hatte, vielleicht war es auch eine Drohung.
    »Eine Frau oder ein Kind«, fuhr Taggart fort.
    »Ihren Beruf möchte ich nicht haben.«
    »Nein. Bestimmt nicht.« Der Lieutenant wandte sich ab. »Wir sehen uns, Mr. Rafferty.«
    »Wir sehen uns?«
    Taggart drehte sich noch einmal zu ihm um. »Sie und ich, wir werden beide eines Tages als Zeugen im Gerichtssaal sitzen.«
    »Sieht ganz so aus, als wäre das ein schwieriger Fall.«
    »Blut schreit zu mir von der Erde, Mr. Rafferty«, sagte der Beamte. Das war offenbar ein Zitat. »Blut schreit zu mir von der Erde.«
    Mitch sah Taggart davongehen.
    Dann blickte er auf das Gras unter seinen Füßen.
    Die Sonne war weitergezogen, wodurch der Schatten der Palmwedel nun hinter ihm lag. Er stand im Licht, ohne davon gewärmt zu werden.

5
    Die Uhr am Armaturenbrett war
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher