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Todesläufer: Thriller (German Edition)

Todesläufer: Thriller (German Edition)

Titel: Todesläufer: Thriller (German Edition)
Autoren: Frédéric Mars
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Versandtaschen war das anders. Sie stellten alles infrage, woran er glaubte. Er verwendete sie nie. Er konnte sie nicht ausstehen.
    Sobald John das Haus verlassen hatte, befolgte er Tag für Tag dasselbe Ritual. Auch sonntags wich er nicht davon ab. Von der untersten Stufe der Treppe vor seinem Haus bis zu der Stelle am Bahnsteig, an der er gewöhnlich in die U-Bahn stieg, waren es genau sechshundertzwei Schritte – nicht mehr und nicht weniger. Er hatte das im Jahr seines Einzugs mehrfach überprüft und war dabei jedes Mal zum selben Ergebnis gekommen: sechshundertzwei Schritte. Genau der richtige Abstand zwischen seinem noch im Dämmerschlaf liegenden Zuhause und dem jähen Eintauchen in den Arbeitstag, der damit begann, dass sich die Türen der U-Bahn um 8 Uhr 30 vor der hineindrängenden Menge öffneten.
    Jeden Morgen blieb er nach hundertsechsundfünfzig Schritten vor dem Zeitungsautomaten an der Ecke 16. Straße und Union Square stehen, um ihm die neueste Ausgabe der New York Times zu entnehmen.
    Ein Stück weiter führte eine Gruppe Lubawitscher Juden eine Art fröhlichen Rundtanz um das Standbild von Mahatma Ghandi auf, dem unermüdlichen Marschierer für den Frieden. Die Auslagen der Marktstände mit Bio-Produkten, zwischen denen hier und da in grellen Farben gemalte Bilder von Sonntagsmalern ausgestellt waren, nahmen die gesamte Westseite des Platzes ein.
    An diesem Morgen fielen ihm die Briefe auf den nassen Boden vor dem grünen Kunststoffautomaten, woraufhin er bis zum zweihundertzwölften Schritt wütend vor sich hin schimpfte. Dann bemerkte er, dass die »Butterseite« des braunen Umschlags durch die Feuchtigkeit ein wenig durchscheinender geworden war, und dachte dankbar an den nächtlichen Regenschauer zurück. Der Umschlag klebte auf dem darin enthaltenen Dokument, das, soweit er sehen konnte, weder den Briefkopf eines Unternehmens noch einen amtlichen Stempel oder sonst einen Hinweis auf eine Organisation welcher Art auch immer trug. Ein privates Schreiben also. Ein einfacher Brief, wie ihn kein Mensch auf der Welt mehr verschickt – jedenfalls nicht an einen geschiedenen Dreiundfünfzigjährigen mit kahlem Kopf und dickem Bauch wie John Artwood.
    Was soll der Mist?
    Westlich des Union Square strebte Sam Pollack kräftig ausschreitend in die entgegengesetzte Richtung. Er zählte seine Schritte nie, dafür war er Tag für Tag einfach viel zu viel unterwegs. An die Schritte des Vortages verschwendete er keinen Gedanken. Das Leben eines Großstadtpolizisten bestand nun einmal aus lauter unvorhergesehenen Ereignissen, alles änderte sich von einem Augenblick auf den anderen. Keine zwei Tage waren gleich. So ging das schon seit achtzehn Jahren, und er hatte sich daran gewöhnt.
    Na ja, beinahe jedenfalls. Seine Stoppelhaare waren vielleicht etwas früher ergraut, als nötig gewesen wäre, und sein Gesicht war ausgemergelter, als man es bei einem Mann über vierzig erwarten sollte, der ständig auf den Beinen war und nicht abends mit Eiscreme vor dem Fernseher hockte, um sich Baseballspiele anzuschauen.
    »Gut sieht er aus«, darüber waren sich auf dem sechsten Revier der New Yorker Polizei alle einig, »aber was hat der Mann ein zerfurchtes Gesicht …«
    Sein Mobiltelefon vibrierte in dem Augenblick, als er die Sixth Avenue überqueren wollte. Er verlangsamte seine Schritte und klappte es mit einer knappen Handbewegung auf.
    JFK fordert diensthabende Beamte zur Unterstützung an. Revier unnötig, komm direkt. Nimm die U-Bahn. Erst Linie L, dann ab der 14. Straße die A. Näheres vor Ort. R.
    Die SMS kam von Rob, seinem direkten Vorgesetzten Robomir Kovic, den alle alten Hasen wie er mit dem Spitznamen »Boromir« riefen, wie den Verräter aus Der Herr der Ringe . Das war eine Frage der Generation. Die jungen Burschen, die erst seit Kurzem dabei waren, verstanden den Scherz nicht … Mist!
    Was mochte am John-F.-Kennedy-Flughafen vorgefallen sein? Was war so wichtig? Gab es etwa eine Neuauflage des Flugzeugangriffs auf das Pentagon?
    Ein Zittern überlief ihn beim Gedanken an die Katastrophe vom 11. September 2001. Hier am südlichen Ende von Manhattan erinnerte das Fehlen der Zwillingstürme die Bewohner der Stadt an jeder Straßenecke daran.
    Nicht nur Touristen zuckten jedes Mal zusammen, wenn sie beim Überqueren einer Kreuzung merkten, dass die Türme nicht mehr wie früher dastanden. Noch Jahre danach ging das auch den meisten New Yorkern so, und sie suchten den leeren Himmel auf der Suche
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