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Todesfrist

Todesfrist

Titel: Todesfrist
Autoren: Andreas Gruber
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wuchtigen Holzpforte hing eine Laterne, die unter den Stromschwankungen heftig zuckte. Bei Sneijders Talent, Türen zu öffnen, würden sie niemals durch dieses Tor kommen.
    Sabine beleuchtete das Schloss. Zum Glück war es aufgebrochen. Frische Abdrücke eines Stemmeisens hatten Holz und Mauerwerk eingedrückt. Der Wind warf die Tür einen Spaltbreit auf, worauf sie gegen den Rahmen schlug. Carl Boni konnte mit seinem Aufsperrwerkzeug zwar Autos ohne Gewalt öffnen, aber keine Haustüren.
    Sneijder fuhr herum. »Er ist hier!«, rief er mit gedämpfter Stimme in den Sturm, doch seine Worte wurden von Wind und Donner übertönt. »Vervloekt!«
    Kohler und Brandstätter waren längst im Rundbau verschwunden. Sneijder starrte auf die Waffe.
    »Ein Schuss würde zwar Kohler herholen, aber auch Carl alarmieren!« , gab Sabine zu bedenken.
    »Stimmt. Gehen wir.« Er drückte die Tür auf.
    Im Turm flackerte eine mickrige Notbeleuchtung, die gerade ausreichte, dass man den Pfeil erkennen konnte, der zum Ausgang wies. Der Rest des Gemäuers lag im Schatten. In einer Nische tuckerte ein Dieselgenerator.

    Sneijder nahm ihr die Taschenlampe aus der Hand und klemmte sie so an die Pistole, dass sie wie ein Zielfernrohr der Waffe wirkte. »Ziehen Sie die Regenjacke aus«, flüsterte er. »Sie leuchten wie ein Karussell.«
    Sie schlüpfte aus der Jacke und warf sie zu Boden. In dem grauen Thermopulli verschmolz sie mit der Dunkelheit.
    »Greifen Sie in meine Seitentasche«, wies er sie an. »Versuchen Sie, mit dem iPhone Kohler zu erreichen. Er und Brandstätter sollen rüberkommen.«
    Sie fand Kohlers Nummer unter den zuletzt getätigten Anrufen, doch nach dem ersten Freizeichen sprang die Mobilbox an.
    »Sein Akku ist leer.«
    »Steinzeit- Klootzak!«, fluchte Sneijder. »Okay, ich kümmere mich um Carl. Sie bringen Helen nach draußen in Sicherheit.« Er nickte mit dem Kopf zur schmalen Wendeltreppe. Mit der Glock im Anschlag ging er voraus.
    Bei jeder Tür, an der sie vorbeikamen, drückte Sabine die Klinke nieder. Alle waren abgesperrt. Keine gewaltsamen Spuren an den Rahmen. Da der Turm keinen Keller besaß, musste Carl oben sein.
    Sneijders Taschenlampe spiegelte sich in den Glasvitrinen. Mehrmals rutschte Sabine das Herz in die Hose, als sie eine Gestalt neben sich sah. Doch es handelte sich bloß um deformierte Skelette von Kindern und Jugendlichen. Sobald das Licht eines Blitzes durch die schmalen Fenster fiel, sah sie die Skizzen und Schwarzweißfotografien in den Schaukästen. Es musste schrecklich gewesen sein, als Gefangener in diesem Turm vegetiert zu haben. Beim Donnergrollen glaubte sie, die Schreie der Geisteskranken zu hören, die hier vor hundert Jahren mit Lederriemen ans Bett gefesselt und mit Wasser und elektrischem Strom behandelt worden waren.
    Je weiter sie nach oben kamen, desto enger wurde die Wendeltreppe. Die Marmorstufen hatten sich im Laufe der Jahre gesenkt, ragten schief aus der Mauer und waren so glatt, dass man aufpassen musste, um nicht auszurutschen. Die Korridore in den Etagen
wurden ebenfalls enger. Im nächsten Stockwerk lagen die Scherben einer Glasvitrine auf dem Boden. Sneijder bedeutete Sabine, nicht hineinzutreten. Bis auf das altertümliche Spiegelbesteck eines Zahnarztes waren die Holzregale leer. Was immer hier fehlte – Carl hatte es sich geholt.
    Im nächsten Stockwerk sah Sneijder aus dem Fenster. Sie waren auf gleicher Höhe mit dem Schindeldach des Rundbaus. Demnach befanden sie sich in der letzten Etage. Sabine blickte zur Decke. Über ihrem Kopf verlief eine Holzkonstruktion aus Dachbalken.
    Durch die Fenster auf der gegenüberliegenden Seite blitzte der Schein einer Taschenlampe. Kohler und Brandstätter würden dort drüben nichts finden. Carl war in diesem Turm. Sie hielt immer noch Sneijders Telefon in der Hand. Erneut wählte sie Kohlers Nummer. Ohne Erfolg. Sie steckte das iPhone ein. Gedankenverloren legte sie die Hand auf die nächste Klinke und zuckte zurück, als die Tür nach innen aufschwang.
    Sogleich richtete Sneijder die Waffe auf den Spalt. Doch nichts passierte. Der Schlüssel steckte außen. Aus dem Raum drang kein Laut. Geistesgegenwärtig hatte Sneijder darauf geachtet, dass der Strahl der Lampe nicht in den Raum fiel. Mit einem Blick signalisierte er Sabine, sich ruhig zu verhalten. Wie angewurzelt stand er vor der Tür.
    Worauf wartet er denn?
    In diesem Moment bereute sie, dass sie ihre Dienstwaffe in München gelassen hatte. Sie trug nicht einmal
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