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Tod in Innsbruck

Tod in Innsbruck

Titel: Tod in Innsbruck
Autoren: Lena Avanzini
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rasen. Etwas war passiert. Etwas Schlimmes.
    »Mama, bitte! Was ist los?«
    Das Schluchzen brach ab. Mutters Stimme klang, als käme sie vom anderen Ende der Welt. »Isabel ist tot.«
    * * *
     
    Innsbruck
     
    Das Motorengeräusch lullte Vera ein. Sie saß zusammengesunken auf dem Beifahrersitz, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen.
    Isa. Tot. Die beiden Worte rotierten in ihrem Hirn.
    Herzstillstand, hatte Mutter gesagt. Isa sei in der Innsbrucker Klinik an einem Herzstillstand gestorben. Unmöglich. Ihre kleine Schwester war immer kerngesund gewesen. Es musste sich um einen Irrtum handeln. Vielleicht hatte Mutter den Anruf aus der Klinik falsch verstanden? Und Isa hatte nur einen harmlosen Unfall erlitten, eine Gehirnerschütterung vielleicht? Vera klammerte sich an diesen Hoffnungsfunken und schalt sich gleichzeitig wegen der Absurdität dieses Gedankens. Was gab es an einer Todesmeldung falsch zu verstehen?
    Jochen saß still da, beide Hände am Lenkrad und die Augen stur auf die Fahrbahn gerichtet. Seine besorgten Seitenblicke spürte Vera mehr, als dass sie sie sah.
    »Danke, dass du mich hinbringst.« Und sie hatte vor Kurzem an seiner Freundschaft gezweifelt!
    »Das ist doch selbstverständlich. Nicht der Rede wert. Ich wollte ohnehin bald nach Innsbruck fahren, alte Bekannte besuchen, mal wieder ins ›Treibhaus‹ gehen. Oder ins ›Blue Note‹ …« Er drehte ihr den Kopf zu. »Es tut mir so leid, Vera.« Sein Blick wurde glasig. Dann wandte er sich abrupt ab und starrte auf die Fahrbahn. Die Tachonadel kroch auf zweihundert Stundenkilometer. Während der restlichen Fahrt schwieg Jochen.
    Vera rechnete es ihm hoch an, dass er ihr kein Gespräch aufzwang und nicht nach tröstenden Floskeln suchte, die nur falsch geklungen hätten.
    Sie durfte sich nichts vormachen. Isa war tot, Irrtum ausgeschlossen. Vera horchte in sich hinein. Sie fühlte nichts. Nichts außer Leere und einer unbestimmten Übelkeit, die sich als pelziger Belag auf ihrer Zunge breitmachte.
    Sie musste sich zusammennehmen. Funktionieren. Herausfinden, was wirklich geschehen war.
    »Wo sind wir eigentlich?«, fragte sie und setzte sich auf.
    »Vor Kurzem an Hall vorbeigefahren. Dauert nicht mehr lange.«
    Vera sah durch die Windschutzscheibe. Die Nordkette leuchtete im warmen Spätnachmittagslicht.
    Was für ein majestätischer Anblick, hatte sie gedacht, als sie zum ersten Mal nach Innsbruck gefahren war, um Isa zu besuchen. Damals war sie vor Ehrfurcht erstarrt. Heute wirkte der schroffe Gebirgszug kitschig. Ein letzter Schneerest in der Seegrube leuchtete rosa wie gefärbter Zuckerguss. Die passende Kulisse für ein drittklassiges Stück der Bauernbühne. Vera war froh, als sich eine hohe Lärmschutzwand vor die Postkartenidylle schob.
    Sie verließen die Autobahn bei Innsbruck-West und reihten sich kurz darauf in den zähflüssigen Siebzehn-Uhr-Verkehr ein. Meter für Meter quälte sich der Toyota den Innrain entlang.
    Dann bog Jochen in die Anichstraße ein und blieb auf einem Taxistandplatz stehen. Ein Hupkonzert war die Folge.
    »Du hast mir sehr geholfen. Danke.«
    »Ruf an, wenn du was brauchst.«
    Sie stieg aus und atmete tief durch.
    »Landeskrankenhaus Innsbruck Universitätskliniken«, las sie über der Einfahrt, die von einer Schranke versperrt wurde. Links davon erhob sich ein moderner Bau.
    »MEDIZIN«, stand in grünen Großbuchstaben auf der Plexiglasfront, überlagert vom blutroten Schriftzug »HEILKUNST«. Das I und das L wurden von der Schiebetür geschluckt, als sie sich öffnete und einen jungen Mann im Rollstuhl ausspuckte.
     
    Die Frau in der Portierloge schob das Kreuzworträtsel zur Seite und hackte auf die Tastatur ein. »Tut mir leid. Eine Isabel Meyring habe ich nicht im Computer«, sagte sie.
    »Sie ist …«, Vera schluckte, »… heute gestorben.« Es kam ihr wie Verrat vor, dieses endgültige Wort auszusprechen.
    Die Augen der Portiersfrau verdunkelten sich um einen Hauch. Sie telefonierte. Vera verstand kein Wort, obwohl sie bayerischen Dialekt gewohnt war. Aber die Bayern sprachen breit und weich. Tirolerisch klang dagegen, als würde man während des Sprechens mit der Handkante auf den Kehlkopf schlagen.
    »Sie müssen in die Chirurgie«, sagte die Frau. »Das ist der dunkle Turm mit dem Hubschrauberlandeplatz auf dem Dach.« Sie beugte sich wieder über die Rätselzeitschrift. »Die Verstorbene liegt auf 02.«
     
    Das Zimmer war klein. Nackte Wände mit nichts als einem Kruzifix. Ein
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