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Tod auf dem Drahtseil (Roman) (German Edition)

Tod auf dem Drahtseil (Roman) (German Edition)

Titel: Tod auf dem Drahtseil (Roman) (German Edition)
Autoren: Ann Murdoch
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Vorstellung stand sie hoch oben auf dem Trapez, schaute zu Stuart hinüber und fühlte Eve an ihrer Seite stehen.
    Die beiden Frauen, die zu Anfang enge Freundinnen gewesen waren, hatten sich seit einiger Zeit auseinander dividiert, aber der Grund dafür war Pat noch nicht ganz klar geworden. Sie hatte Eve doch nie etwas getan. Aber jetzt, da Pat gleich zu ihren Paradesprung ansetzen würde, gab Eve ihr in alter freundschaftlicher Manier einen Klaps auf den Rücken. Beide Frauen wussten, dass Eve es in diesem Leben nicht mehr schaffen würde, jemals eine solche Sensation am Trapez zu bringen, und so zitterte Eve, die vier Jahre alter war als Pat, doch mit der jüngeren mit.
    „Mach es gut! Du kannst es!“, flüsterte Eve, und für einen Augenblick schienen alle Streitigkeiten zwischen ihnen beiden vergessen.
    Stuart setzte zum Schwingen an, und Pat zählte mit, wie sie es schon unzählige Male getan hatte. Es war ihr gar nicht mehr bewusst, dass Hunderte Menschen auf den Sitzen unten auf sie starrten, das hatte sie noch nie weiter interessiert. Ihr war es immer nur ein Anliegen gewesen, auf dem Trapez zu stehen und zu fliegen.
    „Jetzt!“, flüsterte sie unhörbar und begann selbst sich an der Schaukel in Schwingung zu versetzen, immer höher hinauf, bis fast unter das Zeltdach; dann gab sie sich noch einmal einen unhörbaren Befehl, ließ schließlich die Stange los und zwang ihren Körper in die vollkommene Drehung, bis sie genau im richtigen Moment auseinander schnellte wie eine Schlange, die Arme ausstreckte, und ohne etwas zu sehen in die ausgestreckten Hände von Stuart fiel. Es klatschte, wie üblich, Talkum staubte auf, und unten aus dem Zuschauerraum klang begeisterter Beifall auf.
    Es war Routine zurückzuspringen an die eigene Schaukel, und doch spürte Pat sofort, dass etwas nicht stimmte. In ihrer Schulter tobte wieder ein wütender Schmerz, und es fiel ihr schwer, wieder auf dem Haltebalken zum Stehen zu kommen. Doch Gott sei Dank war damit die Show für diesen Abend zuende.
    Wie alle anderen ließ auch Pat sich ins Netz fallen, und außer Eve und Stuart sah niemand die Tränen, die ihr über die Wangen liefen, als sie die Schmerzen auch weiterhin tapfer verschluckte, während sie zu ihrem eigenen Wohnwagen lief. Eve rief noch etwas hinter ihr her, doch das hörte die Frau nicht mehr, sie wollte allein sein, bis die tobenden Schmerzen nachließen. Es waren die ersten Anzeichen, wie sie sehr wohl wusste, die darauf hindeuteten, dass sie nicht mehr allzu lange fliegen konnte. Die Knochen und Gelenke machten solche Belastungen nur eine begrenzte Zeit mit, und bei Pat schien es früher anzufangen. Das würde ihr das Herz brechen, dachte sie.
    Colin, der Clown, schaute ihr hinterher, ihn konnte sie nicht täuschen mit ihrer aufgesetzten Haltung. Aber er hatte jetzt zu tun, und so konnte er ihr nicht nachlaufen und sie trösten oder ihr helfen.
    Irgendwann an diesem Abend war auch die letzte Vorstellung zuende und der letzte Besucher gegangen. Doch statt dass wohltuende Ruhe einkehrte, brach hektische Betriebsamkeit aus.
    Im Schein hastig aufgestellter Lampen wurde das Hauptzelt abgebaut, wurden die Käfige mit den Tieren versandsicher gemacht, und kurz vor Morgengrauen setzte sich die lange Schlange des Trosses in Bewegung – auf zu einem neuen Standplatz, zu neuem Publikum – auf nach Dumbarton!
     
    *
     
    Die große Freifläche befand sich am Ufer des Clyde, und mehr als ein Artist wunderte sich darüber, dass dieses Gelände noch nicht bebaut war, denn es schien als Land mitten in der Stadt ein regelrechter Leckerbissen. Aber ernsthafte Gedanken machte sich niemand darüber, dafür kamen sie einfach an zu viele Plätze, bei denen sich Fragen aufwerfen konnten, wenn man das denn unbedingt tun wollte.
    Um die Mittagszeit herum hatte man die Käfigwagen mit den Tieren platziert, die Wohnwagen waren in einem regelrechten Park aufgestellt, durch den unsichtbare Straßen führten, und alle Artisten wie auch die Hilfskräfte waren rechtschaffen müde.
    Doch schon am Abend würde die erste Vorstellung stattfinden, und mehr als ein bis zwei Stunden Schlaf waren für niemanden drin. Die Tiere mussten getränkt und gefüttert werden, die Proben würden ebenfalls noch stattfinden müssen, und so griff ein Rädchen ins andere. Der Zirkus war ein perfektes Beispiel dafür, wie man Hand in Hand arbeitete, Leerlauf vermied, und jeder nicht nur an seinem Platz stand, sondern auch dort einspringen konnte, wo er
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