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Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Anne Lise Marstrand-Jørgensen
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die Mädchen das blutige Fichtenreisig vom Boden unter dem Geburtsstuhl entfernen konnten. Die Unreinheit einer Wöchnerin kann gefährlich sein für einen Mann, und ohne Hildebert wären Mechthild und ihre Kinder schlecht gestellt, obwohl es sicher schon irgendjemanden geben würde, der sie zur Frau nähme, das Land und ihren Stand in Betracht gezogen. Ursula holt die Häkelnadel und das farblose Wollgarn hervor und macht da weiter, wo sie aufgehört hatte, bevor sie sich um die Geburt kümmern musste. Die Frauen flüstern. Sie weiß, dass sie den Sonntag mit Müßiggang heilig halten sollte, aber an einem solchen Tag, so meint sie, muss man eine Ausnahme machen. Wenn der Herr bestimmt hat, Mechthild möge an einem Sonntag in großer Angst und unter vielen Schmerzen niederkommen, und wenn Gebete nicht mehr ausreichen, Sinne und Gemüt zu beruhigen, sieht er wohl nicht so streng auf ihre Handarbeit.
    Besonders gottesfürchtig ist Mechthild nicht, wenn es darauf ankommt, denkt Ursula und lacht einmal kurz und leise verächtlich auf. Sie hatte doch tatsächlich davon gesprochen,die Frau aus dem Dorf zu rufen, aber Ursula wollte davon nichts hören. Vater Cedric würde das nicht gefallen, hatte sie gesagt. Aber Mechthild war hartnäckig geblieben. Die Frau war dabei gewesen, als die Zwillinge geboren wurden, hatte Ursula sie erinnert. Daraufhin hatte Mechthild dann doch geschwiegen. Diese Frauen bringen mehr Schaden als Nutzen, da gibt sie dem Abt in Sponheim recht. Dort, in den Klöstern, kennen sie die Kräfte der Kräuter und die Mysterien der Fortpflanzung, und kann man keine Hilfe von einem Gelehrten oder einer der Frauen bekommen, denen der Bischof durch seinen Segen die Erlaubnis zu praktizieren erteilt hat, ist es besser, sich allein auf die Kraft der Gebete zu verlassen. Außerdem hatte sie selbst sechs Kinder geboren, man kann also nicht sagen, sie sei unerfahren.
    Dass Hildebert sein Kind selbst nottaufen musste, war ganz gewiss nicht das Beste. Aber zum einen kann das Kind, wenn es denn lang genug lebt, bald in das heilige Wasser des Taufbeckens getaucht werden, und zum anderen kann es auch ganz egal sein, wenn der Priester, dessen Berufung in die Gemeinde von ihrem törichten Bruder unterstützt wurde, dieser untaugliche Vater Cedric ist. Obwohl Ursula zu schweigen versteht, kennt sie die Gerüchte doch sehr genau und denkt die gleichen Gedanken, wie ein jeder christliche Mensch außerhalb Bermersheims. Sie ist sich darüber im Klaren, dass die Bereitschaft ihres Bruders, in diesem Punkt mit dem Bischof zusammenzuarbeiten, vermutlich einem höheren und komplexeren Ziel dient. Doch sie kennt die Schwächen in Hildeberts Charakter ebenso genau. Obwohl sie im gleichen christlichen Zuhause aufgewachsen sind, verbirgt er einen schwarzen Trotz in seinem Herzen, der leicht zu Nachlässigkeit wird, was kirchliche Angelegenheiten angeht. Vater Cedric diente der Kirche in einerGemeinde in Schwaben, aber als der Heilige Stuhl endlich gegen verheiratete Priester zu Felde zog, verlangte der Bischof, ihn von seinem kirchlichen Amt abzusetzen, sollte er die Heirat mit seiner noch kinderlosen Ehefrau nicht annullieren lassen. Vater Cedric, dem die heiligen Gebote offenbar weniger wichtig waren als die Bedürfnisse des Körpers, verweigerte geradeheraus, den Anweisungen des Bischofs Folge zu leisten. Man entzog ihm das Recht, der Messe vorzustehen, aber als Gott ihn kurz darauf mit dem plötzlichen Tod seiner Frau strafte, stand die Sache anders. Der Bischof behauptete, Vater Cedric habe seine Sünde bereut, und wollte ihn gerne wieder in ein unbesetztes Priesteramt berufen, doch die Dorfbewohner lehnten ihn verständlicherweise ab. Der Bischof musste sich etwas anderes einfallen lassen, wollte er nicht sein Gesicht verlieren.
    Ursula reckt den Hals, als das Kleine einen schwachen Laut ausstößt, aber Agnes beugt sich schon über das Kind. Sanft schaukelt sie die Wiege, während sie auf den fest eingewickelten Säugling hinunterblickt. Erst als Ursula mit einem Nicken zu verstehen gibt, sie könne sich wieder setzen, zieht Agnes sich auf die Bank an der Feuerstelle zurück, wo sie mit halb geöffnetem Mund sitzt und vor sich hin starrt.
    Ursula konzentriert sich auf ihre Handarbeit, entdeckt aber, dass sie einige Reihen weiter oben eine Masche hat fallen lassen, und muss das Ganze wieder aufriffeln. Sie denkt an Hildebert, kann es nicht ruhen lassen. Es gibt keinen Zweifel daran, dass er den Leuten im Dorf und denen
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