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Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Anne Lise Marstrand-Jørgensen
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gegenüber, die auf seinem Besitz arbeiten, rechtschaffen ist. Auch dem Herzog von Sponheim ist er treu ergeben, an dessen Hof er in Diensten steht, seit er im Alter von nur sieben Jahren dort als Page angenommen wurde. Sollte es jemandem einfallen, ihm vorzuwerfen, er vernachlässige seine Pferde, würde er ohne Zögern sein Schwertziehen. Doch wenn ihm die Gerüchte über Vater Cedric zu Ohren kommen, zuckt er bloß mit den Achseln. Das ist eine unkluge Disposition, findet Ursula, und es ist schwer, ihm das zu vergeben. Wenn sie ihm das sagt, lacht er nur oder entgegnet geradeheraus, dass er das mit ihr nicht diskutieren wird. Die Zeit auf Erden ist kurz, und wenn man nicht sicher sein kann, dass der Priester helfen wird, den Übergang ins ewige Leben zu erleichtern, kann man genauso gut auf ihn verzichten.
    Kristin heult nicht mehr, Hildeberts Wut ist mit ihm verschwunden. Stille herrscht im Wöchnerinnenzimmer, abgesehen von Mechthilds rasselnden Atemzügen und dem schwachen Knistern des Stoffs, wenn eine der Frauen sich bewegt. Eine Fliege surrt träge vor Kristins Gesicht herum. Als sie nach ihr schlägt, fällt sie, von der Hitze bereits entkräftet, langsam und plump auf den Boden. Kristin zerquetscht die Fliege mit dem Fuß. Dann holt sie, dem Beispiel ihrer Mutter folgend, eine Handarbeit hervor und kommt über ihrem Nähzeug zur Ruhe. Aufrecht und mit durchgedrücktem Rücken sitzt sie da, den Blick auf den Faden geheftet. Sie bestickt das Bettzeug für ihr Erstgeborenes und müht sich mit jedem Stich. Sie stößt schweigend ein »Au« aus, jedes Mal, wenn sie die Nadel durch die Vorderseite des Stoffs sticht, und ein ebenso unhörbares »Maria«, wenn sie sie durch die Rückseite führt. Der Schrecken der Geburt hält sie noch immer gepackt, aber sie gibt sich größte Mühe, sich nichts anmerken zu lassen. Trotzdem fühlt es sich an, als würden alle Frauen sie anstarren, und ihr Gesicht wird noch wärmer als zuvor. Die Nadel rutscht ihr durch die feuchten Finger, der Schweiß läuft von der Kante ihrer Haube über die Schläfen, den Hals hinunter bis zum Schlüsselbein. Das Kind liegt still in der Wiege, Mechthild stöhnt, als ihr das Gesicht mit kochend heißen Lappen gewaschen wird. Wieder undwieder fädelt Kristin die Nadel ein und stickt weiter an dem Blumenkranz. Ab und zu sieht sie verstohlen hinüber zu Mechthild, die jetzt zwischen einem Berg aus Seidenkissen im Kindbett thront. Kristin hätte sie beinahe nicht wiedererkannt, als sie gestern von ihr empfangen wurden. Groß und unförmig war sie, die Augen verschwanden in schmalen Schlitzen, und die Finger zitterten an den Händen wie bratende Würste. Es war irgendeine Krankheit, die mit der unmittelbar bevorstehenden Geburt zu tun hatte, wie sie hörte, und bis jetzt hatte sie sich nicht gegeben. Wüsste man es nicht besser, könnte man glauben, Mechthild sei immer noch schwanger.
    Kristin hat die Dienstmädchen flüstern hören, es sei eine Art der Schwellkrankheit, die Frauen befalle, die Angst haben zu gebären und deshalb das Kind nicht loswerden wollen. Aber sie weiß nicht recht, was sie glauben soll. Soweit sie es versteht, wurde dieses Kind zu früh geboren. Sie hatten gedacht, sie hätten noch reichlich Zeit, sich bei Mechthild einzurichten, bevor die Geburt alles beherrschen würde. Aber sie hatten nur eine einzige Nacht im Haus verbracht, bevor das Zimmer und alles Weitere hergerichtet werden musste. Vor dem heutigen Tag war ihre Angst nicht größer, als dass sie sie nicht mit Nähzeug und täglicher Hausarbeit hätte im Zaum halten können. Jetzt kann sie kaum mehr atmen, und es wird ihr schwindelig. Das Bild der schlummernden Mechthild verschwimmt mit dem eines toten Pferdes, das sie auf dem Weg hierher gesehen haben. Mit aufgeblähtem Bauch und zum Himmel verdrehten Augen lag es am Wegesrand im Graben, gerade noch außerhalb der Grenzen von Mechthilds und Hildeberts Hof. Ein Gewimmel aus Fliegen summte über dem Kadaver, der stank, dass sich ihr der Magen umdrehte.
 
    Mechthild schläft, bis die Sonne längst wieder untergegangen ist. Das Blut gerinnt, und die Kraft kehrt zurück. Sie kann ihre Kinder nicht lange genug bei sich behalten, und sie gebären kann sie auch nicht ordentlich. Dennoch hat der Herr sie mit sieben lebend Geborenen gesegnet, und nun dieses kleine Wesen, das seinen Wert erst noch beweisen muss.
    Mechthild erwacht vom süßen Duft von Kuhmilch und greift sich an den Bauch. Agnes badet das Kleine in lauwarmer
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