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Titan 22

Titan 22

Titel: Titan 22
Autoren: Brian W. Aldiss , Wolfgang Jeschke
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zu stellen, erkannte dann aber, daß es viel wichtigere Probleme gab. Die Vertreter der Sowjetunion und Argentiniens wurden zu Konsultationen in ihre jeweiligen Länder zurückgerufen. Die Schlagzeilen verblaßten, aber in der ganzen Welt breitete sich ein Gefühl wachsenden Schreckens aus.
    Uranbomben waren schon schlimm genug gewesen, aber damit verglichen, waren sie nichts. Blei stand reichlich zur Verfügung, Blei war billig, und das tödliche Isotop konnte mit Leichtigkeit in Hunderten von Laboratorien in ausreichender Menge extrahiert werden. Jetzt brauchte man keine riesigen Meiler und keine Fabrikanlagen im Werte von Milliarden von Dollar mehr; nur ein Pfund gewöhnliches Blei und ein paar Monate Produktion in einen simplem Massenspektrographen. Jedermann konnte Blei 204 produzieren, und da Dr. Schneider den Vorgang ja so einleuchtend erklärt hatte, konnte jeder nach ein paar Monaten mit der Produktion von Bomben beginnen. Große Länder, kleine Länder, politische Parteien, Verrückte – sie alle standen jetzt auf derselben Ebene. Das mühsam geschaffene Gleichgewicht der Kräfte, die sorgfältig ausgearbeiteten Verträge zwischen den Nationen, die endlosen Kompromisse, die schließlich zur Gründung der AEC geführt hatten, sie alle waren jetzt wertlos.
    Wenn man die alten Zeitungen liest, kann man sich nur eine schwache Vorstellung vom Geisteszustand der Welt damals machen. Verwirrung, Zorn, Furcht schienen buchstäblich in der Luft zu liegen. Die russische Presse prangerte Amerika an, den Teufel losgelassen zu haben. Die amerikanische Presse klagte die Sowjets an, eine große, dem Frieden dienende Entdeckung auf den Pfad des Krieges getrieben zu haben, und gleichzeitig verbündeten sich die Presseorgane beider Länder darin, Schneider als einen Verräter an der Menschheit anzuprangern. Der arme Physiker wurde völlig zerbrochen von einigen seiner Kollegen aus dem Rampenlicht gezerrt und verschwand auf eine Weile aus den Blicken der Welt.
    Am 1. Februar hatte die Aufregung ein Crescendo der Debatten und Anklagen erreicht. Der Kongreß tagte ununterbrochen, im Sicherheitsrat der UN waren die Verhandlungen über Kontrollmaßnahmen in ein Patt geraten, und die Bevölkerung Amerikas nahm die Dinge selbst in die Hand und zog aufs Land.
    Ich glaube, etwa um diese Zeit traf ich Dr. Ordway vor dem Chemieinstitut. Er schien sehr zufrieden, was in jenen Tagen schon ausreichte, um mich zu erschrecken.
    »Nun, Ordway, was macht Sie so zufrieden?«
    Um jene Zeit waren die meisten Leute etwas gereizt, und darunter litt die Höflichkeit. Aber Ordway schien das nichts auszumachen.
    »Ist es nicht herrlich«, rief er vergnügt. »Das ist so leicht herzustellen, daß wir in ein paar Monaten Tonnen davon haben werden!«
    Ich blinzelte, war völlig verwirrt.
    »Zetylsulfonische Säure natürlich«, erklärte er. »Man kann sie aus den Nebenprodukten der Ölraffinerien synthetisch herstellen. Die Coast Oil Company wird sie für mich herstellen, und wir haben auch schon Aufträge. Du liebe Güte, ich muß wirklich befürchten, daß ich bald reich werde! Wissen Sie, die wollen sie in Arizona und New Mexico einsetzen, um das Wasser in den Bewässerungsreservoirs damit zu beschichten. Die Säure ist sehr dauerhaft. Wenn man sie nicht ablaufen läßt, hält sie zehn Jahre lang. Und Exportaufträge habe ich auch. Die Iranische Sowjetrepublik hat einen Auftrag für achttausend Tonnen erteilt, um die Verdunstung unter Kontrolle zu halten.«
    »Achttausend Tonnen!« setzte ich an, mit den Gedanken immer noch beim Blei.
    »Ganz richtig. Das ist eine ungeheure Menge – tausendmal mehr als sie brauchen, aber vielleicht wollen sie bei all der Unsicherheit, die heutzutage in der Welt herrscht, etwas Vorräte anlegen.«
    Ich blinzelte ein paarmal und lenkte das Gespräch dann auf das Thema Bombe. Ordway verstand nicht viel von Physik und begnügte sich mit ein paar allgemeinen Bemerkungen, die darauf hinausliefen, daß vielleicht die Wissenschaftler die Regierung übernehmen sollten.
    In den nächsten paar Monaten verlor ich Dr. Ordway und seine wunderbare Z-Säure aus den Augen. Dinge von großer Tragweite ereigneten sich, und die wenige Zeit, die mir außerhalb meiner eigenen Forschungs-und Lehrtätigkeit blieb, verging mit Reden und Artikeln, die ich im Auftrag der Wissenschaftlervereinigung schrieb. Wir machten eine letzte verzweifelte Anstrengung, um die Menschen davon zu überzeugen, daß die Vernunft auch weiterhin herrschen
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