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Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Titel: Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger
Autoren: Margaux Fragoso
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den CD-Ständer zusammen mit einer Kerze in Form einer schwarzen Billard-Acht, die ich vor vielen Jahren in Binghamton gekauft habe. Rechts daneben steht ein dunkelblaues Plastikmonster mit roten Augen und Fangzähnen in einem weißen T-Shirt mit der Aufschrift »HAIRSTYLIST NR. 1«.
    »Hast du dir wieder Kurts Gitarre genommen?«, frage ich meine Tochter. »Ja«, gesteht sie. Sie liebt Musik, deshalb braucht sie das winzige Instrument in vielen ihrer Spiele. Auf den Teppichstufen der Treppe liegen zwei zusammengeklebte Rollen aus braunem Packpapier – »Holzscheite für meine Filmkulisse«, erklärt sie mir. Sie bastelt ihre »Kulissen« oft aus Schuhkartons, leeren Wasserflaschen oder alter Pappe aus der Recyclingtonne. Ich verwende gerne alltägliche Gegenstände, um mit meiner Tochter zu basteln: Grüner Filz wird zu einer Grasfläche, flache Kiesel können mit etwas Farbe und ein Paar kugeligen Augen zum Leben erwachen. Einmal machten wir eine Winterlandschaft, indem wir auf schwarzes Bastelpapier malten, dann Klebstoff darauf verteilten und Salz darüber streuten. Diese Idee hatte ich aus einem alten Notizbuch, das meine Mutter als Hilfskraft in der Grundschule mit solchen Bastelvorschlägen vollgeschrieben hatte – bevor ihre psychische Erkrankung jede Arbeit unmöglich machte.
    Durch das Niederschreiben meiner Erinnerungen habe ich versucht, die alten, tief verwurzelten Muster von Leiden und Missbrauch aufzubrechen, die meine Familie seit Generationen verfolgen. Durch das Schreiben ist mir vor allem klargeworden, dass das Trauma ungehindert weitergegeben wurde, weil meine Großeltern nicht offen mit den sexuellen Übergriffen auf meine Mutter und auf meine Tante in deren Kindheit umgegangen waren. Meine Mutter hatte keine Ahnung, wie man solche Probleme erkennen und sich davor schützen konnte. Meine Großeltern wollten ihre Töchter sicherlich vor weiterem Schaden schützen und drangen daher auf Schweigen und Vergessen, doch meine eigene Geschichte ist der Beweis, dass ihre Entscheidung gefährlich falsch war.
    Peters Welt bezog ihre verführerische Kraft durch Geheimnisse. Und Schweigen und Verdrängen sind genau die Reaktionen, auf die sich Pädophile verlassen, um damit ihre wahren Motive tarnen zu können. Als ich die alten Unterlagen durchging und gründlich über meine persönlichen Erlebnisse nachdachte, wurde mir erst das ganze Ausmaß der Methoden bewusst, mit denen Peter mich und meine Familie manipulierte. In der Endphase der Arbeit an diesem Buch las ich Conversations with a Pedophile: In the Interest of Our Children , ein Gesprächsprotokoll der Gefängnispsychologin Dr. Amy Hammel-Zabin, und meine langgehegte Vermutung wurde zur Gewissheit: Ein Sexualstraftäter hält Ausschau nach Kindern aus zerrütteten Familien wie meiner, kann aber ebenso normale Familien davon überzeugen, dass er ein durchschnittliches oder sogar überdurchschnittliches Mitglied der Gesellschaft ist. Pädophile sind Meister der Täuschung, weil sie Meister der Selbsttäuschung sind: Sie reden sich selbst ein, ihr Tun schade niemandem.
    In meinem Computer habe ich die offiziellen Gerichtsakten von 1989 (in die ich letztes Jahr zum ersten Mal Einblick erhielt), in denen Peter folgender vier Delikte gegen eines seiner Pflegekinder beschuldigt wird: sexueller Missbrauch, kriminelles sexuelles Verhalten, Gefährdung des Kindeswohls und Kindesmissbrauch. Das Gericht war damals der Überzeugung, dass Peter »wahrscheinlich positiv auf eine Bewährungsstrafe reagieren« würde. Es war die Zeit, als Peter und ich voneinander getrennt waren, aber telefonischen Kontakt hielten; ein Jahr später, als ich elf war, begann er mit meiner zweiten sexuellen Initiation.
    Da ich der Meinung bin, dass unser jetziges Rechtssystem bei der Verurteilung und Rehabilitation von Sexualstraftätern regelmäßig versagt, ist es für jede Form der Verbesserung unverzichtbar, Pädophilie mit den Augen jener zu sehen, die sich schon ihr ganzes Leben damit beschäftigen. In der Zeitschrift Time spricht Dr. Fred Berlin, Gründer des National Institute for the Study, Prevention and Treatment of Sexual Trauma , pragmatisch über das Thema: »Wenn Menschen von Pädophilen reden, wollen sie ein Monster sehen. Doch für die öffentliche Sicherheit ist der beste Ansatz bei Pädophilie, den kranken Menschen dahinter zu behandeln. Das allein kann eine zukünftige Viktimisierung verhindern.« Fred Berlins Website ist eine mögliche Anlaufstelle für jeden, der
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