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Tier zuliebe

Titel: Tier zuliebe
Autoren: Birgit Klaus
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überzeugt sind. Eine ausfindig zu machen, ist aber gar nicht so einfach. Schließlich stoße ich auf Ingrid Lessenich. Sie ist 86 Jahre alt und verzichtet schon seit 1945 auf Fleisch, obwohl sie in Ostfriesland auf einem Bauernhof aufgewachsen ist. Frau Lessenich erzählt mir, dass sie umstieg, als sie ihren ersten Mann kennen lernte, einen Vegetarier:
    Ich hatte bis dato noch nie von dieser Ernährungsweise gehört. Da es für mich aber immer höchster Stress gewesen war, wenn im Winter ein Schwein geschlachtet wurde, weswegen ich schon die Nacht vorher gar nicht schlafen konnte, bin ich sofort umgestiegen nach dem Motto: »Das Tier, das ich nicht töten kann, soll ich auch nicht essen!« Mein zweiter Mann hat einige Zeit nach unserer Hochzeit – aus eigenem Entschluss – dann auch auf vegetarisch umgestellt. Und wir beide fühlen uns ausgesprochen wohl dabei.
    Sie leben auf »Schloss Stetten« im Taubertal, einer sehr schönen Seniorenresidenz, in der Sie auf das Essen angewiesen sind, das Ihnen zubereitet wird. Ist das problematisch, wenn man Vegetarier ist?
    Hier in der Residenz »Schloss Stetten«, wo wir uns schon seit gut 14 Jahren sehr wohl fühlen, werden mittags drei Menüs angeboten, davon ein vegetarisches. Insofern haben wir hier kein Problem mit unserer Ernährungsweise. Wir »missionieren« aber grundsätzlich nicht, obgleich es gerade auch unter dem Aspekt des Naturschutzes viel zu sagen gäbe! Wenn man allein nur bedenkt, dass Unmengen von Getreide – das in anderen Erdteilen dringend für die Ernährung der dortigen Menschen benötigt würde – für die Fleisch»erzeugung« (schreckliches Wort, das sind doch Lebewesen!) verbraucht wird, müsste dies für alle Menschen ein Grund sein, ihren Fleischkonsum einzustellen. Dass sie damit dann auch noch ihrer Gesundheit einen großen Gefallen täten, steht auf einem anderen Blatt.
    Wie reagieren denn die anderen Bewohner dieser Seniorenresidenz darauf, dass Sie Vegetarier sind? Unter Senioren gibt es ja nicht so viele Vegetarier wie unter jungen Leuten. Gerade für die Nachkriegsgeneration ist Fleisch ja etwas ganz Wichtiges.
    Obgleich wir NIE die vegetarische Ernährung propagieren, erklären uns immer wieder Bewohner von sich aus, dass sie auch nicht viel Fleisch essen würden – vielleicht auch, weil unsere körperliche Verfassung sich sehr positiv von der der meisten Gleichaltrigen und sogar Jüngeren hier abhebt. Zudem beobachten wir in unserem »Stetten-Stüble«, wo im Gegensatz zum Speisesaal nicht serviert wird, sondern jeder sich sein Mittagessen am Buffet selbst holt, dass sich mehr und mehr ein vegetarisches Menü zusammenstellen, weil ihnen das nicht nur besser schmeckt, sondern auch besser bekommt. Und bei den großen Festessen hier an langen Tischen, wo man nur zwischen vegetarisch und Fleisch wählen kann, wird immer wieder über die Attraktivität des vegetarischen Menüs neidisch gestaunt.
    66 Jahre lang vegetarisch gelebt zu haben und dabei in so guter geistiger und körperlicher Verfassung sein … Wenn Frau Lessenich mal kein Vorbild ist. Ihre Geschichte macht Mut. Hoffentlich nicht nur mir.

Weihnachten
    Jedes Jahr gibt es vor dem Weihnachtsessen bei meiner Mutter einen Kampf um die entscheidende Frage, ob wir Fleischfondue essen oder Sauerbraten oder Würstchen mit Kartoffelsalat. Diese letzte Variante, ein Versuch meiner Mutter, das Festmahl möglichst unkompliziert zu halten, garniert mit dem Verweis auf die Weihnachtsabende ihrer Kindheit, wird mit schöner Regelmäßigkeit abgeschmettert. Die Sauerbratenvariante war für uns Kinder immer die zweitbeste, zu der wir uns manchmal überreden ließen, weil meine Mutter unter einem Feuertrauma leidet und Fondue lieber meidet. Die Angst geht wohl auch auf ein Kindheitserlebnis zurück: Der Tannenbaum fing Feuer und beinahe hätte man an Heiligabend in einer abgebrannten Wohnung gesessen … Meist wird aber doch das Standard-Weihnachtsritual gerettet: Fleischfondue.
    Alle, die jetzt auf nervenaufreibende Diskussionen um das richtige Weihnachtsmenü zwischen meiner fleischessenden Familie und mir warten, muss ich an dieser Stelle leider enttäuschen – zugegeben, auch zu meiner eigenen Überraschung. Auf wundersame Weise gibt es keinen Streit. In unerwarteter Eintracht segnen acht Menschen – der neunte und kleinste hat kein Mitspracherecht, er ist erst drei Jahre alt – das vegetarische Weihnachtsessen ab: ein simples, früher hätte ich gesagt: langweiliges, Raclette.
    Am
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