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Theres

Theres

Titel: Theres
Autoren: Steve Sem-Sandberg
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Stärkung des Repressionsapparates des Naziregimes. Dennoch (die Frage ist berechtigt, hat jedoch nichts mit Logik zu tun): Hätten sie anders handeln sollen? Hätte ich es sollen? (Nein.)
    *
    Bild: Ulrike, frisch geschieden, in ihrem neuen Zuhause in Berlin-Dahlem. Bild von ihr: Sie steht am Bügelbrett. »Der Repressionsdruck« ausgetauscht gegen feste, pressende Bewegungen mit dem Bügeleisen auf die Kragenecken der Kinderblusen. Hinter ihr im Raum läuft ein Fernseher. Flimmernde schwarzweiße Bilder zeigen eine wütende Volksmenge, die auf die Barrikaden der Polizei zustürmt. Pflastersteine fliegen durch die Luft, Polizisten mit Schutzschildern jagen die Auseinandergetriebenen mit Tränengas und Wasserkanonen vor sich her; Schreie und Schläge mit Gummiknüppeln. (Et la foule, harassée par les forces de la police …)
    Paris, Mai 1968. Die Ereignisse sind nun bereits Gegenstand für Klarstellungen in den staatlichen Massenmedien. ( Was passiert da eigentlich? Sehen Sie den aufwühlenden Dokumentarfilm über die neue Pariserkommune: Heute Abend nach der Tagesschau … ! )
    Ob im Deutschland des Vormärz oder auf Cuba zur Zeit Batistas – studentische Revolten brechen in allen Ländern der Erde aus, die historisch-objektiv an der Schwelle einer Revolution stehen. Während sie früher mehr oder weniger eine zusätzliche Kraft der jeweils fortschrittlichsten, um politische Emanzipation kämpfenden Klasse waren (wie etwa in den bürgerlichen Revolutionen des 19. Jahrhunderts), oder bereits Kaderfunktionen übernahmen (wie etwa in den proletarischen Revolutionen in Russland zu Beginn des 20. Jahrhunderts), haben Studenten in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg eine entscheidende Rolle in den revolutionären Befreiungsbewegungen gespielt und in einigen Fällen sogar selbst die Führung der Revolution übernommen (der Sturm Castros und seiner Freunde auf die Kaserne von Moncada; die Kulturrevolution in China). Sind also Studenten eine revolutionäre Klasse par excellence?
    *
    Das Telefon klingelt. Homann aus dem Zimmer der Kinder: Ulrike, Telefon! (Sie nennt ihn nur Homann, weil er in den Demonstrationszügen lauter als die meisten anderen Ho-Ho-Ho-Chi Minh ruft, doch ohne Substanz oder auch nur mit besonderem Nachdruck; ebenso gut hätte er rufen können): Telefon! Ich höre, kannst du nicht rangehen? Geh du ran, ich bringe die Kinder ins Bett; bestimmt ist es Klaus. Sie stellt das Bügeleisen weg, hebt den Hörer ab: Klaus?
    Schon bereit, den sich manisch wiederholenden Satz zu vernehmen: Ich rufe nur an, um zu hören, wie es den Kindern geht ; und selbst bereit zu kontern: Ausgezeichnet, danke; Peter liest ihnen gerade Gutenachtgeschichten vor.
    Diesmal aber kommt ihr früherer Mann ohne Umschweife zur Sache: Ich will, dass du nach Frankfurt fährst, Ulrike.
    *
    Irgendwo muss es anfangen. Es fängt hier an.
    K: Ich will, dass du nach Frankfurt fährst, Ulrike. Der Prozess fängt morgen an.
    U: Nein.
    K: Müssen wir erst darüber diskutieren, überleg doch mal, wie es aussieht, wenn wir nichts bringen.
    U: Du musst jemand anders schicken, ich fahre nicht.
    K: Wie viele Züge willst du eigentlich noch verpassen? Als ich dich gebeten habe, nach Paris zu fahren, wolltest du auch nicht.
    U: Ich konnte nicht. Ich hatte niemanden für die Kinder.
    K: Du hättest die Kinder zu mir schicken können.
    U: Aus irgendeinem Grund ist mir der Gedanke nicht gekommen, Klaus.
    K: Jetzt aber gilt diese Ausrede nicht mehr. Jetzt hast du Peter.
    U: Du begreifst nicht. Darum geht es nicht. Ich will mit diesen Leuten nichts zu tun haben. Als würden zwei, drei im vierten Stock vom Kaufhaus Schneider verbrannte Sprungfedermatratzen die Bedingungen für die Arbeiter in den Zinkgruben Boliviens oder der Tupamaros-Guerilla in Uruguay ändern können, ganz zu schweigen von …
    K: Dann schreib das doch.
    U: Ich denke nicht daran.
    K: Du denkst nicht daran? Aber andere werden schreiben, willst dudann lesen, was sie aufs Papier bringen, und wie wirst du dich dann angesichts ihrer Lügen fühlen?
    U: Erpressung bringt nichts, Klaus.
    K: Tut sie doch. Du hast nach wie vor einen Vertrag mit dieser Zeitschrift und demzufolge bestimmte Aufgaben und Verpflichtungen. Wenn dir das Gewissen nicht zusetzt, sollte es zumindest dieses Argument tun. Du hast Zeit bis morgen. Ich rufe wieder an.
    *
    Auf dem Fernsehschirm: Bilder Steine werfender junger Franzosen. In der Türöffnung: Herr Homann, mit leerem Blick und weit offenem Mund angesichts ihres
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