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Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)

Titel: Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft (German Edition)
Autoren: Konrad Paul Liessmann
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zusammenhanglos aus den Köpfen der Schüler verbannen wollte. Seit dem Erfolg dieser Show veranstalten zeitgeistige Lehrer deshalb auch keine trockenen Prüfungsgespräche mehr, in denen sie erfahren, wieviel ihre Schüler tatsächlich verstanden haben, sondern organisieren dieser Show nachempfundene Ratespiele, die dann auch widerstandslos akzeptiert werden. So macht nicht nur Lernen, sondern auch Prüfen wirklich Spaß, und durch die Hintertür eines Medienereignisses gelangt das lange verpönte Abfragen beziehungslos nebeneinander stehender Daten, Fakten und Bedeutungen wieder in den Unterricht.
    Dem Lehrer als Quizmaster stehen mit dem deutschen und österreichischen Protagonisten dieser Show auch gleich zwei habituelle Modelle gegenüber, an denen er sein pädagogisches Verhalten orientieren könnte. Während es Günther Jauch laut Umfragen durch diese Show dazu gebracht hat, als einer der klügsten Deutschen zu gelten, dem man auch hohe politische Ämter zutraut, hat die Beliebtheit des österreichischen Moderators Armin Assinger wohl andere Gründe. Jauch schafft es, mit intellektueller Attitüde immer wieder den Eindruck zu erzeugen, daß er meistens doch um einiges mehr weiß als die Kandidaten und daß der Blick auf die Lösung für ihn eher Bestätigung und nicht Offenbarung ist. Ganz anders beim ehemaligen Schirennläufer, dessen Charme darin besteht, daß er erst gar nicht versucht, so zu tun, als könne er mit den Begriffen, die er abfragen muß, etwas anfangen. Während Jauch eine pädagogische Autorität simuliert, stellt Assinger den Lehrerkumpel dar, der kein Hehl daraus macht, daß er auch nicht mehr weiß als seine Schüler und deshalb gerne bereit ist, etwas von diesen zu lernen.
    Bei sehr leichten Fragen allerdings oder dort, wo es um Sport geht, hilft der kumpelhafte Moderator dann auch schon einmal augenzwinkernd einem verzweifelten Kandidaten über die ersten Hürden hinweg. Jauchs Gesten der Bestürzung über die geistige Immobilität mancher seiner Kandidaten lassen demgegenüber keinen Zweifel über die intellektuelle Differenz zwischen ihm und seinem Gegenüber. Bei der richtigen Beantwortung von schwierigen Fragen kann Jauch deshalb, weil selbst Autorität, ein Lob riskieren, während Assinger, Gleicher unter Gleichen, unverhohlen sein nahezu philosophisches Erstaunen darüber zum Ausdruck bringt, was es in der Welt so alles zu wissen gibt.
    Formate wie die Millionenshow indizieren den Stand der Bildung auf der Ebene der massenmedialen Unterhaltung: als eine Erscheinungsform der Unbildung. Nicht, daß es an und in diesen Sendungen nichts zu lernen gäbe; und fraglos etablieren solche Spiele gleichsam propagandistisch die These, daß man nie genug wissen kann. Und nicht zuletzt kokettieren diese Sendungen mit einer Urszene unserer Kultur: der Rätselfrage, deren Beantwortung das weitere Schicksal des Menschen entscheidet. Man bleibt dann auch vor allem deshalb vor dem Bildschirm sitzen, weil es unerträglich ist, solche Fragen unbeantwortet zu lassen. Aber das dabei aufgebotene Wissen bleibt seinen eigenen Intentionen gegenüber unverbindlich und zusammenhanglos, es ist schlechterdings äußerlich geworden. Das mag einerseits an einem Format liegen, das Wissen zum Gegenstand eines Fragespiels macht und deshalb der Idee von Bildung so sehr entfremdet sein muß wie jede andere Quizshow oder jedes Kreuzworträtsel auch. Das liegt andererseits aber auch an Verhältnissen, die jede Idee eines Zusammenhangs oder einer inneren Entfaltung eines Gedankens sabotieren.
    Theodor W. Adorno hatte einstens versucht, an der Ethik Spinozas zu demonstrieren, was wahre Bildung sei: Es geht dabei nicht nur um die Kenntnis oder Lektüre dieses Buches, sondern auch um jene Cartesianische Philosophie und deren systematische und historische Kontexte, ohne die Spinoza nicht angemessen verstanden werden kann. Bildung, so könnte man sagen, ist der Anspruch auf angemessenes Verstehen. Für den Halbgebildeten, dem dafür die Voraussetzungen fehlen, wird Spinozas Ethik deshalb zu einem Konvolut logisch nicht nachvollziehbarer Behauptungen, aus dem er Einzelheiten gerade noch als erstarrtes Bildungsgut zitieren kann. 1 Solch ein Bildungsanspruch zerschellt vollends an einem Verfahren, das bestenfalls noch danach fragt, ob die Ethica, ordine geometrico demonstrata von Descartes, Spinoza, Kant oder Hobbes geschrieben wurde. Das Problem besteht nicht darin, daß jemand, der Spinoza und Descartes gelesen hätte, diese
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