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Theo Boone und das verschwundene Mädchen: Band 2 (German Edition)

Theo Boone und das verschwundene Mädchen: Band 2 (German Edition)

Titel: Theo Boone und das verschwundene Mädchen: Band 2 (German Edition)
Autoren: John Grisham
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gar nicht erst, weil ihre Eltern es nicht erlaubten. Schuld daran war der zweifelhafte Ruf der Familie Finnemore.
    Als die Boones eintrafen, parkten in der Einfahrt zwei Streifenwagen. Auf der anderen Straßenseite standen die Nachbarn auf den Veranden und beobachteten das Ganze.
    Mrs. Finnemore– sie hieß May, wie der Monat, und hatte ihre Kinder April, March und August genannt– saß im Wohnzimmer auf dem Sofa und sprach mit einem uniformierten Beamten, als die Boones, etwas verlegen, hereinkamen. Da Mr. Boone Aprils Mutter nicht kannte, stellten sie sich kurz vor.
    »Theo!«, verkündete Mrs. Finnemore höchst dramatisch. »Man hat uns unsere April geraubt!« Dann brach sie in Tränen aus und streckte die Arme nach Theo aus. Der hatte überhaupt keine Lust, sich umarmen zu lassen, wollte aber nicht unhöflich sein. Wie immer trug Mrs. Finnemore ein langes fließendes Gewand, das Theo an ein Zelt erinnerte. Es war hellbraun und sah aus, als wäre es aus Sackleinen. Das lange, von grauen Strähnen durchzogene Haar hatte sie straff aus dem Gesicht gekämmt und zusammengebunden. Theo hatte sie immer wunderschön gefunden, auch wenn sie völlig verrückt war. Anders als seine Mutter tat sie nichts dafür, aber das hatte sie gar nicht nötig. Außerdem war sie sehr kreativ, malte, töpferte und stellte nebenbei noch ihren Ziegenkäse her. April hatte die guten Gene ihrer Mutter geerbt– die schönen Augen und die künstlerische Begabung.
    »Was ist passiert?«, erkundigte sich Mrs. Boone bei dem Polizeibeamten, als Mrs. Finnemore wieder saß.
    Daraufhin gab dieser ihnen eine kurze Zusammenfassung der wenigen Informationen, die bisher zur Verfügung standen.
    »Hast du gestern Abend mit ihr geredet?«, fragte der Beamte, ein gewisser Sergeant Bolick, den Theo vom Gericht kannte. Theo kannte die meisten Polizisten in Strattenburg– und die meisten Rechtsanwälte, Staatsanwälte, Richter, Hausmeister, Pförtner und Justizangestellten am Gericht.
    »Ja, Sir. Um 21.15 Uhr, sagt meine Anrufliste. Wir reden praktisch jeden Abend vor dem Schlafengehen miteinander«, gab Theo zurück.
    Bolick war als Klugschwätzer bekannt, und Theo hatte nichts für ihn übrig.
    »Ist ja niedlich. Hat sie irgendwas gesagt, was uns weiterhelfen könnte? War sie beunruhigt? Hatte sie Angst?«
    Und schon steckte Theo in der Zwickmühle. Er wollte die Polizei nicht belügen, aber auch keinen Vertrauensbruch begehen.
    »Ich kann mich an nichts Derartiges erinnern«, erwiderte er ausweichend.
    Mrs. Finnemore hatte aufgehört zu weinen und ließ Theo nicht aus den Augen.
    »Worüber habt ihr geredet?«, fragte Sergeant Bolick. Ein Detective in Zivil kam ins Zimmer und hörte aufmerksam zu.
    »Das Übliche. Schule, Hausaufgaben, so genau weiß ich das nicht mehr.« Bei den Gerichtsverhandlungen, die er als Zuschauer besucht hatte, hatte er gelernt, dass man sich besser nicht festlegte. Häufig reichten »Ich kann mich nicht erinnern« oder »Das weiß ich nicht mehr« völlig aus.
    »Habt ihr online gechattet?«, wollte der Detective wissen.
    »Nein, nicht gestern Abend. Da haben wir nur telefoniert.« Sie benutzten häufig Facebook und Textnachrichten, aber Theo wollte nicht mehr Informationen liefern als nötig. Warum Fragen beantworten, die gar nicht gestellt worden waren? Das sagte seine Mutter auch immer zu ihren Mandanten.
    »Gibt es Hinweise auf einen Einbruch?«, erkundigte sich Mr. Boone.
    »Nein«, erwiderte Bolick. »Mrs. Finnemore schlief tief und fest in ihrem Schlafzimmer im Erdgeschoss und hörte nichts. Als sie irgendwann nach April sehen wollte, war das Kind verschwunden.«
    Theo sah Mrs. Finnemore an, die ihn erneut mit einem flehentlichen Blick bedachte. Er kannte die Wahrheit, und sie wusste es. Das Problem war, dass er April versprochen hatte, nicht darüber zu reden.
    Tatsächlich war Mrs. Finnemore seit zwei Nächten nicht mehr zu Hause gewesen. April war allein und völlig verängstigt gewesen. Türen und Fenster waren verrammelt, unter ihre Türklinke hatte sie einen Stuhl geklemmt. Am Fußende ihres Bettes lag ein alter Baseballschläger, und das Telefon stand in Griffweite, damit sie sofort den Notruf wählen konnte. Außer Theodore Boone, der Stillschweigen geschworen hatte, durfte niemand davon erfahren. Ihr Vater war mit seiner Band unterwegs. Ihre Mutter stopfte sich mit Tabletten voll und drehte langsam durch.
    »Hat April in den letzten Tagen davon gesprochen wegzulaufen?«, fragte der Detective in Zivil.
    Und ob.
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