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Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)

Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)

Titel: Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
Autoren: Dani Aquitaine
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mir bis zum Hals und meine Lunge brannte, als ich unten ankam. Kurz hielt ich inne und lauschte, ob mir jemand folgte, aber bis auf das Rauschen des Blutes in meinen Ohren war es totenstill. Ich tastete mich weiter. Es war stockfinster, aber ich kannte den Weg auswendig. Sobald ich den ehemaligen U-Bahn-Mitarbeiterraum betreten hatte, traute ich mich endlich, meine Taschenlampe anzuknipsen. Sie brauchte keine Batterien; ich konnte sie mit Strom versorgen, indem ich sie schüttelte – und bei meiner Flucht eben war sie ziemlich gut durchgeschüttelt worden.
    Ich folgte ihrem fahlen Lichtkegel bis zu einem metallenen Aktenschrank, der an einer der Wände stand, und begann angestrengt, ihn ein Stück auf die Seite zu schieben. Dahinter kam ein Mauerdurchbruch zum Vorschein, durch den ich mich zwängte.
    Ich befand mich in der örtlichen Kanalisation, wobei das Wort Kanalisation weit mehr Gestank vermuten ließ, als es tatsächlich der Fall war; es roch nur ein bisschen modrig. Seit Beginn des Verfalls nutzte ich das unterirdische Netz aus Gängen und Kanälen, um unbehelligt in der Stadt voran zu kommen. Obwohl ich mir nicht die Illusion machte, dass ich die Einzige war, die von der Existenz des Gangsystems wusste, fühlte es sich sicherer an, als ungeschützt an der Oberfläche herumzulaufen.
    Ich wollte sofort weiterrennen, aber meine Beine knickten unter mir weg; ich fiel auf die Knie und übergab mich. Seit dem Morgen hatte ich nichts mehr gegessen, aber ich konnte nicht aufhören, bittere Galle von mir zu geben.
    Irgendwann hatte sich mein Magen beruhigt, aber mein Gehirn spuckte immer noch unablässig Bilder aus, Bilder, die ich nicht sehen wollte. Wie die Verbrecher das Haus stürmten. Wie sie meinen Vater bedrohten. Wie er versuchte, sie zu besänftigen, wie er ihnen erklärte, wo sie die Ware finden würden, die sie suchten. Wie sie dennoch auf ihn schossen. Wie er rückwärts stolperte, gegen das Regal stieß und dessen Inhalt mit sich riss, als er zu Boden stürzte. Darunter auch ein Kästchen, das aufsprang und die Kette offenbarte. Wie er sie in seine Hand nahm und fest gegen seine Brust drückte …
    Ein trockenes, heiseres Schluchzen quälte sich aus meiner Kehle hervor und hallte gespenstisch von den kahlen Wänden wider. Doch ich drückte die Faust gegen den Mund und versuchte, mich zusammenzunehmen, denn ich wusste, dass ich nicht würde aufhören können, wenn ich einmal zu weinen begonnen hätte.
    Weiter.
    Wohin?
    Ich wusste es nicht. Meine Freunde von damals hatten die Stadt verlassen, waren tot oder vermisst und ich kannte keinen Ort, an dem ich sicher war. Der Einzige, den ich möglicherweise um Obdach bitten konnte, war Verne, der Nerista aus der Bibliothek. Aber ich kannte ihn nicht so gut und wusste nicht, wo ich ihn finden konnte. Außerdem wollte ich mich nicht aufdrängen. Dafür war ich zu stolz, auch wenn das wahrscheinlich recht dumm von mir war. Ich wollte niemandem etwas schuldig sein. Und ich musste es irgendwie schaffen, trotz dieses Stolzes zu überleben.
    Ich nahm alle Kraft zusammen und stand auf, blickte nach rechts, nach links und wieder nach rechts. Die Tunnel waren praktisch identisch. Grau und völlig gerade verlaufend verloren sie sich in der Dunkelheit. Nach rechts führte der Weg in bekannte Gefilde, in die Stadt hinein. Ich wusste, dass ich, wenn ich diesen Gang wählte, zu meinem ehemaligen Viertel, meiner ehemaligen Schule und zu allen anderen Orten meines ehemaligen Lebens gelangen würde. Sie würden mich immer daran erinnern, was ich gehabt hatte und nie wieder würde haben können.
    Was mich erwartete, wenn ich nach links ging, wusste ich nicht. Diesem Weg war ich noch nie gefolgt. Dort kannte ich mich nicht aus. Ich hatte kein genaues Ziel. Es war dumm und riskant, dort lang zu gehen. Vermutlich würde ich keine zwei Tage überleben, sondern eher früher als später mit gebrochenen Knochen in einem Schacht liegen oder von marodierenden Banden meiner Müsliriegel und Wasseraufbereitungstabletten beraubt im Kanal. Aber irgendetwas zog mich in diese Richtung.
    Vielleicht nur das Bewusstsein, dass die Orte meines vergangenen Lebens in meinen Erinnerungen besser aufgehoben waren als in der grausamen Realität.
    Oder das Wissen, dass es wo anders einfach besser sein musste als hier.
    Also schulterte ich meine Tasche wieder und wandte mich nach links. Hier hielt mich nichts mehr.

Kapitel 2
    Ich lief, bis ich vor Erschöpfung nur mehr stolperte und schließlich der Länge
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