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Teuflisch erwacht

Teuflisch erwacht

Titel: Teuflisch erwacht
Autoren: Simone Olmesdahl
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fortzöge, landeten sie noch obdachlos unter einer Brücke.
    Seit über einer Stunde fuhren sie stillschweigend über die Autobahn. Bisher hatte Marla mit keiner Silbe verlauten lassen, wohin der Weg führte und Annas Versuche, das Thema aufzugreifen, waren im Sande verlaufen. Wenige Scheinwerfer durchbrachen die Nacht, kaum ein Wagen fuhr Richtung Norden.
    Anna schaute zum Fenster hinaus, doch Marla legte ein beachtliches Tempo an den Tag und der Seitenstreifen verschwamm in der Dunkelheit. Es schneite noch immer, aber die dicken, sanften Flocken verwandelten sich langsam in kleine Kristalle, die wie Insekten durch den Lichtkegel auf die Windschutzscheibe zurasten. Schnell wandte Anna den Blick ab. Die monotone Ansicht erschöpfte sie und bereitete ihr Kopfschmerzen. Sie streckte die tauben Glieder und kämpfte die Müdigkeit nieder, die mit jedem Kilometer die Lider weiter beschwerte. Sie erinnerte sich nicht, wann sie das letzte Mal durchgeschlafen hatte, ohne stündlich hochzuschrecken oder schweißgebadet und mit laut klopfendem Herzen zu erwachen. »Willst du mir nicht endlich verraten, wo wir hinfahren?«, fragte sie, als das Schweigen unerträglich wurde.
    Marlas Gesichtsausdruck verdunkelte sich. Sie biss auf die Unterlippe und sah konzentriert auf die Fahrbahn.
    »Erde an Marla, bitte kommen.«
    »Also schön. Wir fahren nach Hamburg.«
    Wow, eine präzise Aussage … »Geht’s noch undeutlicher? Was wollen wir da?«
    »Das ist eine lange Geschichte.«
    Ihr Gesichtsausdruck sprach Bände. Anna glaubte, einen Anflug von Angst über ihre Züge huschen zu sehen. Sie kannte die Falten, die in bestimmten Momenten auf Marlas Stirn traten, inzwischen gut. Trotzdem gingen die vagen Anspielungen auf keine Kuhhaut. »Ich schätze, die Fahrt dauert auch noch eine Weile. Also haben wir Zeit.«
    Marla strich eine Locke aus der Stirn, ihre Hand zitterte. Die lange Geschichte streifte also die Kategorie Horror. Schön, was sollte es. Das tat schließlich das ganze Leben. »Jetzt lass dir nicht alles aus der Nase ziehen«, drängte sie. Anna hatte es satt, ihr wie ein Blindfisch zu folgen. Ihr Vertrauen war sichtlich geschrumpft. Sie forderte ein Informations- und Mitspracherecht.
    Marla seufzte. »Es ist viele Jahre her. Damals besuchte ich die Uni«, begann sie. Sie sprach leise, klang meilenweit entfernt und ihre Stimme hatte einen rauchigen Nachklang. »Ich war noch nicht lang eine Hexe, hatte das Talent frisch geerbt und befand mich in der Orientierungsphase. Natürlich hatte ich eine Menge Unsinn im Kopf.« Ein schüchternes Lächeln umspielte ihre Lippen, als versänke sie in der Erinnerung. »Durch Zufall lernte ich Heather kennen. Sie besaß ebenfalls ein Hexentalent, war aber schon viel erfahrener auf dem Gebiet.«
    Irgendetwas klingelte bei dem Namen. »Heather? Die Hexe, die unsere Familien fortgeschafft hat?«
    Marla nahm den Blick von der Fahrbahn und sah sie kurz an. Die Frage riss sie offensichtlich aus dem Konzept. Schließlich nickte sie. »Heather war mein großes Vorbild. Ich blickte ehrfürchtig zu ihr auf, denn sie verstand es, mit Kräutern umzugehen, kannte die geheimsten Zutaten und Wirkstoffe. Sie erklärte die Dinge besser, als meine Mentorin es getan hatte, lehrte mich viel und wusste auf alle Fragen eine Antwort. Wir saßen jeden Abend zusammen, testeten Formeln und zauberten, dass sich die Balken bogen. Unsere Kräfte wuchsen, wir erfanden neue Zaubersprüche und nach jedem Abend fühlte ich mich stärker. Uns gehörte der Campus, sie unterlagen uns alle.«
    »Wer unterlag euch?« Die Aussage besaß einen bitteren Beigeschmack.
    Marla zögerte, rang sich aber zu einer Antwort durch. »Die anderen Studenten.«
    Ein Schauder arbeitete sich Annas Rückgrat hinunter. »Ihr habt Menschen verhext?«
    »Ja, und ich muss gestehen, zu unseren Gunsten. Wir besprachen die Professoren mit Verwirrungszaubern, schrieben ab und sorgten mit Liebestränken dafür, dass uns die hübschesten Jungen begehrten, oder die einflussreichsten Leute um unsere Freundschaft warben. Niemand konnte uns das Wasser reichen und wir kannten kein Tabu.«
    Anna versuchte, sich die junge Marla vorzustellen. Arrogant, selbstsüchtig und von sich eingenommen. Aber die Vorstellung verschwamm. Sie war ein viel zu guter Mensch, so konnte sie einfach nicht gewesen sein.
    »Es kam die Zeit, da langweilte uns die Hexenkunst. Es schien, als hätten wir jedes Kraut im Lande probiert und jede Formel ausgetestet. Die Hexerei verlor ihren
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