Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tessa

Tessa

Titel: Tessa
Autoren: Nicola Karlsson
Vom Netzwerk:
oberflächlich ab. Das Wasser läuft kühl über ihre Hände, und langsam spürt sie die Verspannung aus ihrem Körper weichen. Sie lässt das Glas volllaufen, stürzt das Wasser runter und fühlt sich etwas besser. Aus dem Regal nimmt sie die Medikamentendose und kramt nach einer Kopfschmerztablette. Jetzt nach Nick suchen. Sie geht ins Wohnzimmer, aber das ist leer. Warum ist der Scheißkerl abgehauen? Erleichtert entdeckt sie, dass er seine Schachtel Kippen neben der Couch, auf dem Boden, liegen gelassen hat. Sie setzt sich und zündet sich eine an. Die Zigarette schmeckt nicht, Filtergeschmack, trotzdem lässt sie die Kippe im Mund, während sie sich auf die Suche nach ihrem Handy macht. Nick anrufen. Mailbox. Sie legt auf. Die nächste Zigarette anzünden, das Nikotin beruhigt sie.
    Sie geht unter die Dusche, dreht das Wasser heiß auf und versucht jeden Zentimeter abzuduschen. Als sie die mittlerweile schwarz gefärbten Blutergüsse auf den Hinterseiten ihrer Beine entdeckt, erschreckt Tessa. Unterhalb ihrer Kniekehlen erblickt sie mehrere großflächige Hämatome, und direkt unter ihrem Hintern hat sie eine Vielzahl von länglichen blauen Flecken, die sich quer über ihre Oberschenkel ziehen und von der Kante des Zaunes zu stammen scheinen. Sie wendet ihren Blick ab und starrt in den Duschkopf, während ihr das Wasser ins Gesicht prasselt. Sie versucht sich auf ihre nächsten Schritte zu konzentrieren, aber es ist nichts mit klarem Denken, da ist eindeutig der Wodka dran schuld. Sie muss raus hier, sie muss mit Nick reden.
    Vor ihrer Kleiderstange bleibt sie stehen. Sie greift nach ihrer Jeans, um die blauen Flecken zu verstecken. Doch sie entscheidet sich um und schmeißt sie zu den anderen Sachen in die Ecke, stattdessen greift sie nach einem kurzen dunkelblauen Seidenkleid und extra hohen Schuhen. Sie betrachtet sich im großen Spiegel, dreht sich, prüft ihren Anblick. Die Flecken passen farblich perfekt zum Kleid. Sie geht zurück ins Badezimmer. Mit ihren Schuhen schiebt sie die Klamotten von der Nacht zur Seite, die noch immer auf dem Boden liegen. Sorgfältig schminkt sie das Gesicht. Und malt die Lippen rot an.

Wenig später sitzt Tessa in der U. Die Bahn ist nicht allzu voll. Später Vormittag. Jeder kümmert sich um seinen eigenen Scheiß. Sie findet einen Sitzplatz, ihr gegenüber sitzen zwei Penner mit großem Altersunterschied. Der Schmutz der Straße hat ihren Klamotten die Farbe genommen. Der Jüngere bewegt seine Lippen, und sein emotionsloser Gesichtsausdruck macht Tessa neugierig. Sie stellt ihren iPod auf Pause, setzt ihre großen Kopfhörer ab und folgt seinem Monolog, er klagt, dass seine Mutter die ganze Zeit am Rumjammern sei, immer Gründe zum Meckern suche, er es satt habe, bei ihr zu wohnen. Er spricht ins Leere, unterbricht nur, um einen Schluck aus der Bierdose zu nehmen und hin und wieder einen prüfenden Blick in seine Supermarkttüte zu werfen. Der Ältere, mit einem verbrauchten, wettergegerbten Gesicht, das Haar weiß, zu lang und strähnig, umklammert mit festem Griff seine Bierdose, er nickt hin und wieder schwach, auch wenn es gar nicht passt, aber vielleicht ist auch nur das Wackeln der U-Bahn daran schuld. Sein Kinn hat er auf der Brust abgelegt, die Augen sind halb geöffnet, der Rücken gekrümmt, die Schultern hängen nach vorne. Vielleicht schläft er auch. Der Jüngere nimmt wieder einen Schluck. Die Alte hätte so schon seinen Vater vergrault. Und was lerne sie daraus? Nichts. Nicht mal seine Ruhe könne man haben. Und wenn er dann auch noch abhaue, dann sei ihr Geheule laut.
    »Lehrter Straße ist hart«, krächzt die Stimme des Älteren überraschend. Er klingt, als hätte er seit Tagen nicht mehr gesprochen. Seine Stimmbänder scheinen das auch mitzukriegen, er hüstelt, als würden sich Brocken tief in seinen Atemwegen lösen. Das Hüsteln wird zum Donnern, danach schluckt er laut den verklumpten Schleim herunter.
    Tessa muss einen Moment angewidert wegschauen.
    Auch der Jüngere hat sich erschrocken. Vielleicht wegen des Wechsels in eine Art Kommunikation springt er sofort auf die Worte des Alten an: »Du meinst das Obdach­losenheim da?«
    Der Alte schaut nicht auf, verzieht nicht das Gesicht, durch Schlitze stiert er den dreckigen Boden an. Trotzdem liegt eine Spannung in der Luft, als würde er gleich weitererzählen wollen. Langsam hebt er die Bierdose zu seinem Mund und trinkt geräuschvoll. Der Jüngere und Tessa schauen ihn erwartungsvoll an. Bedächtig
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher