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Tessa

Tessa

Titel: Tessa
Autoren: Nicola Karlsson
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lässt der Alte seine Hand wieder sinken. »Kennste die Geschichte, die vom Lutz, da wo der sich een Zimmer mit dem schwulen Maik hat teilen müssen? Und wo denn der Lutz uffwacht, hat er die Hosen in den Knien und den Arsch janz klebrig.«
    Tessa zuckt zusammen, der Junge nickt nur, sprachlos, und setzt seine Dose wieder zum Trinken an, nimmt die letzten Schlucke, schüttelt die Dose anschließend prüfend und wirft sie in die Tüte, bevor er sich eine neue hervorholt. Sein Blick ist auf den Boden gerichtet, er hält seine Klappe. Tessa setzt ihre Kopfhörer wieder auf und stellt ihren iPod auf Play. Eine Station danach muss sie aussteigen.
    Sie klingelt Sturm bei Nick, und kurze Zeit später ertönt der Türsummer. Kraftvoll schiebt sie die schwere alte Holztür auf. Mit weißer Farbe hat jemand ungelenk Heaven darauf gesprüht. Sie steigt hastend die Treppen in dem unsanierten, aber frisch gereinigten Hausflur hoch. Nicks Wohnungstür ist angelehnt, sie lässt sie laut hinter sich ins Schloss fallen und streift suchend durch seinen Flur. Sie findet Nick rauchend in der Küche am Tisch sitzen, seinen Laptop hat er geöffnet vor sich stehen. Er schaut auf, als sie noch außer Atem »Hi« sagt, und nickt andeutungsweise. Seine Haare sind strähnig, und er sieht fertig aus, als hätte er zu wenig Schlaf bekommen. Nicht wirklich attraktiv. Tessa fragt sich plötzlich, was sie hier soll. Wahrscheinlich bringt es nichts. Die Distanz ist zu groß. Hat sie wirklich erwartet, er würde sie fest in den Arm nehmen und ihr versichern, dass alles gut sei?
    Sie bleibt unschlüssig in der Mitte der Küche stehen. »Kann ich mir was zum Trinken nehmen?«, fragt sie vorsichtig, doch ohne seine Antwort abzuwarten, öffnet sie die Kühlschranktür. Ein deprimierender Anblick, aber sie findet, worauf sie gehofft hat, eine fast volle Flasche Weißwein, daneben liegen noch ein Stück Käse, Sojaöl, Senf und drei alte Zwiebeln, aus denen schon neue zu wachsen scheinen. Sie greift sich die Flasche, sucht sich ein kleines Glas aus dem Regal, gießt es voll, setzt sich zu ihm an den Küchentisch, trinkt, schaut auf und fängt seinen Blick. Anklagend?
    »Magst du auch Wein?«, fragt sie unschuldig.
    Er schüttelt den Kopf und schließt dabei die Augen. Wie theatralisch.
    Sie trinkt das Glas in einem Zug aus, nicht zu hastig, damit die Säure nicht gleich wieder hochsteigt, der Chardonnay ist kalt und schmeckt fast eisig. Angenehm breitet er sich in ihrem Magen aus, und langsam wird es leichter in ihrem Kopf. Sie füllt ihr Glas wieder auf und greift über den Tisch nach seiner Hand, doch die hat er bereits weggezogen. Sie sieht wieder zu ihm auf. »Warum hast du mich alleine gelassen letzte Nacht?« Noch bevor sie die Frage zu Ende gesprochen hat, fürchtet sie sich vor der Antwort. Nick erwidert nichts. Plötzlich fühlt sie sich schuldig, doch sie hält seinem Blick stand, sieht in seine braunen Augen und kann nichts sehen. Als vor dem Fenster ein Vogel anfängt zu singen, drehen sie fast gleichzeitig ihre Köpfe. Ein Hauch von Erleichterung hängt für einen kurzen Moment im Raum. Strahlender Sonnenschein bricht durch die staubige Scheibe. Als sich Nick ihr langsam wieder zuwendet, weiß sie, dass es die falschen Worte sein werden, die er sprechen wird. Worte, die sie nicht hören möchte, doch sie bleibt stumm.
    »Tessa, es funktioniert nicht mehr zwischen uns.«
    »Du hast doch eine andere«, sagt sie mutlos.
    »Nein«, erwidert er und macht eine weitere Pause, es ist still in der Küche, der Vogel hat zu singen aufgehört. »Aber es macht mich müde, dir dabei zuzusehen, wie du dich kaputt machst. Diese ewige Suche nach dem Drama. Ich kann das nicht mehr. Ich habe da keine Lust mehr drauf.«
    »Was meinst du?«
    »Ach, Tessa, komm. Dein ständiges Anzweifeln. Und was ist tatsächlich passiert gestern Nacht? Sieh dir doch deine Beine an.«
    »Das war ein Unfall.« Sie kann die Situation nicht mehr ertragen. Sie will weinen und nicht mit Nick diskutieren. Sie steht hastig auf, wobei der alte Holzstuhl geräuschvoll ins Wanken gerät, greift nach dem Glas, trinkt es leer, bevor sie ins Nichts spricht: »Ich geh lieber.« Ansehen kann sie ihn nicht mehr, denn sie muss mit den Tränen kämpfen. Sie greift nach ihrer Handtasche. Nick bleibt stumm, sie geht zur Eingangstür, doch vor dem Wohnzimmer bleibt sie stehen. Sie will, dass er sie zurück­ruft. Sie wirft einen Blick in den großen, hellen Raum, und vielleicht nur, um die Zeit
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