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Terry Rotter und der Stein des Anstoßes

Terry Rotter und der Stein des Anstoßes

Titel: Terry Rotter und der Stein des Anstoßes
Autoren: Unknown
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natürlich niemals Geld dafür bezahlt hätte, musste er sich etwas einfallen lassen. So geschah es, dass er sich eines Tages in die mondbeschienene Nacht hinausschlich, nur um einem schlafenden Obdachlosen die Klamotten zu stehlen. Diese schenkte er dann Terry - "nur aufgrund unserer übergroßen Herzensgüte", wie der Hausherr der Herrenrasse * zu sagen pflegte. Die einzigen anderen Kleidungsstücke, die der Junge besaß, hatten vorher seinem Cousin Deadly gehört. Das bedeutete, dass sich in diesen diverse Risse befanden, die von Auseinandersetzungen mit Leuten entstanden waren, die den Fehler gemacht hatten, das Tragen roter Kleidung als unpolitisch zu betrachten. Aber immerhin durfte Terry dafür die Tür seines Schrankes ganze zweimal am Tag öffnen: Einmal, um in die Schule zu gehen und einmal, um wieder zurück zu kommen.
    Selten gelang es ihm, mit seinen Pflegeeltern zu kommunizieren. Und dabei war ein kleiner Trick nötig: Der Junge bediente sich dem Mittel der umgedrehten, zweimal gewendeten und auf kleiner Flamme gebrutzelten Psychologie:   
    "Onkel Valium - schau mal, da draußen läuft der Führer!"
    "Was? Wo?"
    "Oh, jetzt ist er schon wieder weg", antwortete Terry mit bedauernder Stimmlage.
    "DU! Der Führer war gar nicht da! Du hast mich angelogen! Kein Wunder, du bist ja auch nicht unser richtiger Sohn, der hätte so etwas niemals getan! Ein wahrer Deutscher hat sowieso auch keine blitzförmige Narbe auf der Stirn! Geh sofort auf dein Zimmer! Oh, und nimm diesen Schrank mit!" Irgendwann zwangen die Thorsleys ihren Enkel sogar dazu, das Symbol auf seiner Stirn mittels eines braunen Filzstiftes zu einer Grafik
    zu ergänzen, die vor gut 60 Jahren von so manchem Banner erhaben auf ihre Urheber herab geblickt hatte. Das neue Zeichen entfernte Terry jedoch schon bald wieder, da es ihm sowohl von der Bedeutung her, aber besonders auch aufgrund der negativen Reaktionen seiner Mitmenschen, sehr missfiel. Wobei ich hier sowohl von unseren türkisch-stämmigen Mitbürgern, als auch von den gestiefelten Werbeträgern für Haarwuchsmittel rede. Zwar hätte man eigentlich angenommen, dass letzteren das Symbol zusagen würde, aber in Wirklichkeit kannten sie es nicht mehr. Denn seit vielen Jahren galt es als verfassungsfeindlich. Daher hatten sich die begrenzt Behaarten und großzügig Bestiefelten unlängst auf diverse Runen umgestellt. Und da sie in Geschichte nicht unbedingt die Besten waren, wussten sie mit dem umgedrehten Windrädle nichts Rechtes mehr anzufangen.
     
    Auf jeden Fall war es Terry so gelungen, heraus zu finden, dass er nicht auf allzu Besorgnis erregende Weise mit den Thorsleys verwandt war. Das hatte seine Neugier auf seine echten Originaleltern gelenkt. Doch immer, wenn er Onkel Valium und Tante Ficus fragte, was mit diesen eigentlich passiert sei, kam er nicht umhin, zu bemerken, dass sich ihre Antworten auf diese Frage erheblich voneinander unterschieden:
    "Die sind bei einem Autounfall gestorben, weil dein Vater mal wieder besoffen gefahren ist", erläuterte normalerweise Onkel Valium. Tante Ficus dagegen bevorzugte die "Als du geboren wurdest und deine Eltern zum ersten Mal dein Gesicht erblickten, sprengten sie sich in die Luft" - Version.
    Wenn Terry sie auf diesen Widerspruch hinwies, wurde er meistens in sein Zimmer geschickt, es sei denn, es gab irgendeine Schwerstarbeit zu erledigen. Letztere bestand meist im anscheinend zweckfreien Transport gewichtiger Einrichtungsgegenstände.
     
    Eines Tages war Terry so verzweifelt, dass er sogar versuchte, einen seiner Lehrer um Hilfe zu bitten: Er wandte sich an seinen Klassenleiter Herr Liebermann, der wahrscheinlich längsten Praline der Welt:
    "Ähm, Herr Liebermann?"
    "Ja, mein Junge?"
    "Meine Pflegeeltern lassen mich in einem 1m² großen Zimmer wohnen, ich bekomme nichts vernünftiges zum anziehen, fast nichts zu essen und mein Cousin und seine Freunde schlagen mich ständig zusammen."
    "Ja, das geht vielen Familien nach der Arbeitsmarktreform so", antwortete Herr Liebermann mit einem merkwürdig-gutmütigem Lächeln und fügte beschwichtigend hinzu:
    "Wir alle müssen damit fertig werden."
     
    Terry aber gab nicht so schnell auf und wandte sich auch an andere Autoritäten, sogar an das Jugendamt: Es wurde festgestellt, dass er einmal zu oft bei der Behörde aufgekreuzt war. Als deren Vertreter jedoch einmal kurz bei den Thorsleys vorbeischauten, gelang es der Familie überzeugend, eine Kulisse der Harmonie aufzubauen. Sogar
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