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Tee macht tot

Tee macht tot

Titel: Tee macht tot
Autoren: Monika Clayton
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Augen nahm er eine Gestalt in weißem Nachthemd wahr. Eine krächzende Stimme bedeutete ihm, dass es an der Zeit wäre. Er müsse jetzt aufstehen.
    „Heilige Maria Mutter Gottes!“, hauchte er und schlug ein Kreuzzeichen. Innerhalb von Sekunden fühlte er, wie sich sein Blut wie Eiswürfel durch seine Adern presste. Unfähig sich zu rühren, lag er einfach nur da. Fest kniff er die Augen zusammen. Er wollte nicht sehen, was da vor ihm stand.
    „Es ist Zeit für dich. Steh auf! Du musst dich auf den Weg machen!“, krächzte die Gestalt abermals. Doch nun etwas ungehaltener.
    Der Tod hat es aber eilig, dachte sich Balthasar. Vorsichtig blinzelte er unter seiner Decke hervor.
    Der Tod hatte weißes Haar. Eine Hand griff nach seiner Schulter und schüttelte ihn. Ein Schauer durchfuhr Sebastian Balthasar Rohrasch. So fühlte sie sich also an, die Klaue des Todes, schoss es ihm weiter durch den Kopf. Er wollte aber noch nicht sterben, nicht jetzt, nicht heute. Er spürte den Kloß in seinem Hals; Schweiß trat ihm auf die Stirn. Völlig aufgelöst, zog er sich in der Verzweiflung eines Verlorenen die Bettdecke wieder über den Kopf und wimmerte: „Nein, geh weg, bitte, bitte, ich will noch nicht sterben! Nein, nein, geh weg!“ Schluchzend rollte er sich auf die andere Seite des Bettes. Und was dann geschah, war ihm selbst vor Gevatter Tod peinlich.
    Die Angst ließ den Druck auf seiner Blase unerträglich werden. Verzweifelt versuchte Balthasar, zu halten, was nicht mehr zu halten war. Ein großer nasser Fleck bildete sich unter ihm, der sich unermüdlich weitläufig auf dem Laken ausbreitete, um schließlich in der Matratze zu versickern. Ein beißender Geruch breitete sich im Zimmer aus.
    „Du solltest dich was schämen!“, dröhnte plötzlich die Stimme seiner Mutter in seinen Ohren. „Was bist du nur für ein Ferkel. Man möchte meinen, du bist gerade fünf Jahre alt.“
    Da realisierte Balthasar erst, dass er es nicht mit dem Tod höchstpersönlich zu tun hatte, sondern, dass die Gestalt im Nachthemd wahrhaftig seine Mutter war.
    Energisch zog seine Mutter die Decke weg. Sie ermahnte ihn, jetzt endlich aufzustehen und sich für die Arbeit fertig zu machen, der Frühstückstisch sei schon gedeckt. Angesichts der nassen Bettdecke in ihren Händen schüttelte sie ihren Kopf und streifte den Bezug ab. „Nein, nein, nein, dass ich sowas nochmal erleben muss!“, seufzte sie vor sich hin.
    Balthasar Sebastian Rohrasch, der nun endgültig wach war, schaute auf seine Uhr. „Mutter!“, rüffelte er los. „Es ist zwei Uhr morgens! Bist du von allen guten Geistern verlassen?“
    „Pah, was du redest! Geh dich waschen, und dann komm zum Frühstück!“, schimpfte sie, drehte sich mit fliegendem Nachthemd herum und ging.
    Während Balthasar Sebastian Rohrasch im Bad verschwand und sich einen frischen Schlafanzug überzog, hörte er seine Mutter mit den Kaffeetassen klimpern. Widerwillig trottete er in die Küche und nahm die Tasse Kaffee, die ihm gereicht wurde. Müde setzte er sich an den Küchentisch und ließ seinen Kopf auf die Tischplatte sinken. Fast wäre er in dieser Position eingeschlafen, als es unter ihm rumste. Verdutzt blickte er auf und merkte, wie seine Mutter mit dem Wischmopp in der Hand den Küchenboden scheuerte. Dabei schlug sie unaufhörlich gegen sein Stuhlbein. Solange, bis er endlich aufstand, den Stuhl anhob und sie an der Stelle putzen ließ, die ihr gerade so wichtig zu sein schien. Danach lud sie wie selbstverständlich die Wäsche in die Waschmaschine.
    Sprachlos sah Balthasar ihr zu.
    Nachdem sie fertig war, gab sie ihrem Sohn einen Kuss auf die Stirn, wünschte ihm einen schönen Tag und legte sich wieder schlafen.
    Bedröppelt blieb er am Tisch sitzen und überlegte sich eine Weile, was ihm an dem soeben Geschehenen seltsam vorkam. Ohne zu einem nennenswertes Ergebnis gekommen zu sein, legte er sich ebenfalls wieder hin. Er hatte immerhin noch gut dreieinhalb Stunden, bis er wirklich aufstehen musste.
    Am nächsten Morgen wischte er die seltsame Nacht aus seinen Gedanken und fuhr gerädert zur Arbeit. Unendlich lange kam ihm dieser Arbeitstag vor, doch einmal würde er eine um die Ohren geschlagene Nacht schon überstehen, glaubte er.
    Als er abends sein Schlafzimmer betrat, staunte er nicht schlecht. Denn weder war sein Bett frisch überzogen noch überhaupt gemacht. So wie er es verlassen hatte, fand er es vor. Mit Knitterfalten im Laken musste er sich noch nie schlafen legen.
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