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Tausche Brautschuh gegen Flossen

Tausche Brautschuh gegen Flossen

Titel: Tausche Brautschuh gegen Flossen
Autoren: Juliane Kobjolke
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Musik.‹
    ›Sind wir irgendwie megamies drauf
heute?‹
    ›Ich weiß nicht, ich kann nur für
mich reden. Ich bin’s wohl.‹
    Als er schweigt, rechne ich mit
der automatisierten Nachricht, dass sich der Gesprächspartner abgemeldet hat. Sie
kommt und kommt nicht. Bald gebe ich nach und tippe: ›Sorry!‹
    ›Wollen wir sie killen, die olle
Laus, die dir über die Leber gelaufen ist?‹
    ›Mit einer Axt, bitte!‹
    ›Gern doch. Schieß los!‹
    Also erzähle ich ihm von der Firma
und dem Excel-Crashkurs und dem Datenarchivierungsprojekt und meinem Studium, mit
dem ich doch eigentlich so viel mehr anfangen können sollte. Ich erzähle ihm auch
von meinen abwesenden Freundinnen und von Lukas und meiner Posthochzeitsdepression.
    Nicht einmal die Tatsache, dass
ich verheiratet bin, schockiert oder beleidigt ihn, und allmählich wundere ich mich,
mit wem ich es zu tun habe. Da er offenbar nicht im Chat ist, um die Liebe seines
Lebens zu finden oder den besten Cybersex der Woche zu haben, muss er eine so verlassene
Seele sein wie ich. Warum sonst besucht er nicht nächste Strandbar und kippt ein
paar Cocktails?
    ›… und es regnet, regnet und regnet‹,
schließe ich, nachdem ich mir alles, was mich so aus der Fassung bringt, von der
Seele geredet habe.
    ›Das tut es eben ab und zu‹, antwortet
er – wahrscheinlich als Metapher gemeint. ›Sogar hier hat es heute geregnet. Immer
Sonnenschein wäre doch langweilig.‹
    ›Hm‹, tippe ich ein. ›Ich hätte
absolut nichts gegen eine tägliche Sonnenscheingarantie von acht Stunden. Ich hätte
außerdem nichts gegen einen Herbst ohne Regen und einen Winter ohne Schnee.‹
    ›Ich glaube, du hast einen Hang
zum Perfektionismus‹, mutmaßt der Inseltaucher und entlockt mir ein Lächeln.
    ›Zum Glück ist das nichts, weswegen
man mich in eine Suchtklinik einweisen könnte.‹
    ›Du bist gerade 25 und kommst frisch
von der Uni. Der erste Job, den man findet, ist so gut wie nie der richtige. Es
ist oftmals nicht mal das, was man wirklich tun möchte. Ich bin mir sicher, dein
derzeitiges Tief resultiert fast ausschließlich in dieser Scheinfirma – sorry, aber
ein markttaugliches Unternehmen kann es einfach nicht sein. Also kündige und lass
dir mehr Zeit auf der Suche nach einem besseren Arbeitsplatz.‹
    ›Bist du wirklich Tauchlehrer?‹
    ›Ganz wirklich.‹
    ›Bei Friseusen, Kosmetikern, Taxifahrern
oder gar Therapeuten kann ich verstehen, dass sie eine Menge Geschichten hören und
Übung im Erteilen von guten Ratschlägen haben. Ist die von Tauchern benutzte Zeichensprache
so umfangreich?‹
    Seine Reaktion auf meine Alberei
ist ein vor Lachen herumkullernder Smiley.
    ›Kannst du das Meer sehen, dort
wo du bist?‹, frage ich, weil ich überlege, ob der Anblick eines Ozeans je alltäglich
werden kann. Ich glaube, ich würde jeden Abend bei Sonnenuntergang nirgends so gern
sein wie am Strand.
    ›Wenn ich auf meinem Stuhl eine
Drehung um 180 Grad mache, sehe ich es. Da wir Neumond haben, ist es rabenschwarz
und schillert nur ein wenig. Die Linie des Horizonts ist kaum zu erkennen.‹
    ›Wie warm ist die Luft?‹
    ›Es sind 23 Grad.‹ Wieder sendet
er einen Smiley, diesmal jedoch ein kleines, schadenfrohes Teufelchen.
    ›Ich glaube, ich wollte es nicht
wissen.‹
    ›Doch, das wolltest du. Ich habe
es schriftlich.‹
    Das Ziehen meiner Gesichtsmuskeln
macht mir bewusst, dass ich schon geraume Zeit breit grinse.
    ›Für heute muss ich mich verabschieden‹,
lese ich im selben Moment, als ich meine identische Nachricht an ihn schicke.
    ›Das war synchron‹, lautet sein
prompter Kommentar. Dann tänzelt ein Smiley, der vor Müdigkeit gähnt, durch das
Gesprächsfenster. ›Wie auch immer, das Bett ruft. Der erste Tauchgang morgen startet
eine Stunde früher als gewöhnlich, da wir einen längeren Anfahrtsweg haben.‹
    ›Dann schlaf gut!‹
    ›Du auch.‹
    Ich klicke mich aus dem Chat und
fahre den PC herunter. Beim Zähneputzen summe ich eine Melodie in die Zahnbürste.
Als mir das bewusst wird, halte ich einen Moment inne und lausche der Stille. Sie
klingt nicht mehr so trist wie am Morgen. Der Gedanke, dass es einem völlig Fremden
gelungen ist, mich aufzumuntern, ist schon ziemlich seltsam. Dennoch, die gute Laune
gebe ich jetzt erst mal nicht mehr her. Die ist nun meine und begleitet mich zusammen
mit dem angelesenen Buch ins Bett.
    Es handelt von Zeitreisen. Als ich
den roten Faden gefunden habe und die merkwürdigen Sprünge des Protagonisten
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