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Tanz der seligen Geister (German Edition)

Tanz der seligen Geister (German Edition)

Titel: Tanz der seligen Geister (German Edition)
Autoren: Alice Munro
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Mrs. Fullerton. »Kirschen selber pflücken für fünfzig Cent pro Schale. Die Leiter rauf wird mir für meine alten Knochen zu gefährlich.«
    »Das ist zu viel«, sagte Mary lächelnd. »Im Supermarkt sind sie billiger.« Mrs. Fullerton hatte bereits einen Hass auf den Supermarkt wegen der Senkung des Eierpreises. Mary schüttelte ihre letzte Zigarette aus dem Päckchen und legte sie ihr hin, mit den Worten, sie habe noch ein Päckchen in der Handtasche. Mrs. Fullerton rauchte gerne, lehnte aber eine angebotene Zigarette stets ab, wollte überrumpelt werden. Vom Geld fürs Kinderhüten könnte sie sich welche kaufen, dachte Mary. Gleichzeitig brachte sie viel Sympathie für Mrs. Fullertons Verweigerung auf. Wenn Mary wieder fortging, hatte sie stets das Gefühl, Barrikaden zu passieren. Das Haus und das Grundstück schienen alles zu bieten, was man zum Leben brauchte, mit der komplizierten, aber anscheinend unveränderlichen Anlage der Gemüse- und Blumenbeete, den Apfel- und Kirschbäumen, dem drahtumzäunten Hühnerhof, den Beerensträuchern und den mit Brettern eingezäunten Weiden, dem Holzstoß und den zahlreichen grob gezimmerten kleinen dunklen Verschlägen für Hühner oder Kaninchen oder eine Ziege. Hier gab es keinen offensichtlichen oder einfachen Plan, keine Ordnung, die ein Außenstehender begreifen konnte; doch das willkürlich Entstandene war mit der Zeitendgültig geworden. Alles hatte sich verfestigt, war unumstößlich geworden, alle Ansammlungen notwendig, bis es schien, dass sogar die Waschwannen, Scheuerlappen, Sprungfedern und Stapel alter Kriminalmagazine auf der hinteren Veranda für alle Zeit den rechten Platz gefunden hatten.
    Mary ging mit Danny die Straße hinunter, die zu Mrs. Fullertons Zeit Wicks Road geheißen hatte, aber jetzt auf den Karten der Wohnsiedlung als Heather Drive ausgewiesen war. Der Name der Wohnsiedlung lautete Garden Place, und ihre Straßen waren nach Blumen benannt. Zu beiden Seiten der Straße war kahle Erde, die Gräben standen voller Wasser. Bretter waren über die offenen Gräben gelegt worden, Bretter führten zu den Türen der neuesten Häuser. Der neuen weißen und leuchtenden Häuser, nebeneinander in langen Reihen in die Wunden der Erde gesetzt. In ihren Gedanken waren es immer weiße Häuser, obwohl sie natürlich gar nicht völlig weiß waren. Die Hauswände waren teils verputzt, teils verkleidet, und nur der Putz war weiß; die Verkleidungen waren in Blau-, Rosa-, Grün- und Gelbtönen gestrichen, alles frische und lebhafte Farben. Im vorigen Jahr, genau um diese Zeit, im März, waren die Bulldozer gekommen, um das Unterholz, die Schösslinge und die großen Bäume des Bergwaldes zu roden; bald danach wuchsen die Häuser zwischen den Felsbrocken, den riesigen, herausgerissenen Stümpfen, den unvorstellbaren Umwälzungen der Erde. Die Häuser waren anfangs grazil, Gerippe aus frischem Holz, die in die Dämmerung der kalten Frühlingstage ragten. Doch dann kamen die Dächer, schwarz und grün, blau und rot, der Putz und die Verkleidungen; die Fenster wurden eingesetzt und mit Schildern beklebt, auf denen Murry’s Glaserei oder French’s Hartholzböden stand; man konnte sehen, dass die Häuser real waren. Menschen, die darin wohnen würden, kamen sonntags heraus und stapften im Schlamm herum. Die Häuser waren für Leute wie Mary und ihren Mann und ihr Kind, die noch nicht viel Geld hatten, aber mehr erwarteten; Garden Place war in den Köpfen der Leute, die sich mit Adressen auskannten, bereits abgestempelt: weniger luxuriös als Pine Hills, aber erstrebenswerter als Wellington Park. Die Badezimmer waren herrlich, mit dreiteiligen Spiegeln, Fliesen und bunten Wasserleitungen. Die Schränke in der Küche waren aus heller Birke oder aus Mahagoni und die Lampen dort und in der Essecke aus Kupfer. Ein aufgemauerter, zum Kamin passender Raumteiler trennte das Wohnzimmer von der Diele. Die Zimmer waren alle groß und hell und die Keller trocken, und all diese Solidität und Qualität schienen sich deutlich, stolz auf dem Gesicht eines jeden Hauses zu spiegeln – dieser ganz offen annähernd gleichen Häuser, die einander die ganze Straße hinunter ruhig anblickten.
    Heute, an einem Samstag, waren alle Männer draußen und machten sich um ihre Häuser herum zu schaffen. Sie gruben Entwässerungsgräben, legten Steingärten an und verbrannten dürre Zweige und Gestrüpp. Sie arbeiteten mit konkurrierender Heftigkeit und Energie, ihnen war anzumerken,
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