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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen
Autoren: Anne Rice
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befragen, ihn trösten, vielleicht auch anklagen wollten. War die Luft voller Geister? Brauchte man nur zu schlafen, um sie von Angesicht zu Angesicht zu sehen und ihr Rufen zu hören?
    Er wußte es nicht. Alte Bilder kehrten zurück, Fetzen und Bruchstücke von Geschichten, andere Träume. Aber er wollte sich nicht verlieren. Er wollte sich nicht ganz versinken lassen…
    Er schlief den hauchdünnen Schlaf, in dem er sicher war, in guter Gesellschaft mit dem Regen, dem Seufzen des schwerelosen Regens, der ihn umgab, ohne ihn zu berühren, hier in seinem Garten, unter dem hohen Blätterdach des mächtigen Baumes.
    Und plötzlich sah er ein Bild des zerschlagenen weißen Leibes, der dort unter ihm schlief – wenn man für die Toten ein so sanftes Wort wie schlafen benutzen konnte.
    Die Lebenden schliefen, wie er geschlafen hatte. Was wurde aus denen, die eben gestorben oder die vor langer Zeit gestorben waren, aus denen, die von der Erde verschwunden waren?
    Fahl, verrenkt, und nach Jahrhunderten wiederum besiegt, ohne einen Grabstein verscharrt…
    Er schrak aus dem Schlaf. Beinahe hätte er aufgeschrien.

 
39

    Als er aufblickte, sah er durch den Zaun, daß das Haupthaus jetzt hell erleuchtet war.
    In allen Etagen brannte Licht, oben und unten. Er glaubte oben im Flur jemanden durch eine Tür gehen zu sehen. Anscheinend Eugenia. Die arme alte Seele. Sie mußte es gehört haben. Hatte vielleicht die Toten gefunden. Aber es war nur ein Schatten hinter dem Blickschutz des Rankengitters. Er war nicht sicher, und es war viel zu weit weg, als daß er etwas hätte hören können.
    Er war dabei, die Schaufel wieder in den Schuppen zu stellen, als der Regen heftiger wurde.
    Donner krachte, einer dieser weißen, gezackten Blitze riß den Himmel auf, und dann klatschten ihm dicke Tropfen auf Kopf, Gesicht und Hände.
    Er schloß das Tor auf und ging zum Wasserhahn am Rande des Pools. Er streifte den Pullover ab und wusch sich Arme, Gesicht und Brust. Der Schmerz war noch da, als ob etwas in ihm nage, und er merkte, daß er in der linken Hand kaum noch Gefühl hatte. Aber er konnte sie schließen. Er konnte damit greifen. Er schaute sich nach der dunklen Eiche um, aber in der Dunkelheit darunter konnte er nichts erkennen; der gesamte Garten lag in tiefer Dunkelheit.
    Der Regen spülte Lashers Blut von den Steinplatten, auf denen er gestorben war.
    Michael stand da und schaute zu; er wurde tropfnaß. Gern hätte er eine Zigarette geraucht, aber er wußte, daß der Regen sie auslöschen würde. Durch das Eßzimmerfenster sah er die nebelhaften Umrisse Aarons, der immer noch am Tisch saß, als habe er sich überhaupt nicht bewegt, und die hohe, dunkle Gestalt Yuris, die beinahe müßig herumstand. Und noch jemanden, den er nicht erkannte.
    Alle waren im Haus. Na ja, es war unvermeidlich gewesen. Irgend jemand hatte ja kommen müssen. Beatrice, Mona, irgend jemand…
    Erst als alles Blut weggeschwemmt war, ging er über die Stelle hinweg und nach vorn zur Haustür.
    Zwei Polizeiwagen parkten vor dem Haus, Stoßstange an Stoßstange und mit blitzenden Lichtern. Vor dem Tor stand eine Gruppe von Männern, darunter Ryan und der junge Pierce. Mona war auch da, in Sweatshirt und Jeans. Fast kamen ihm die Tränen, als er sie sah.
    Mein Gott, warum verhaften die mich denn nicht? dachte er. Warum sind sie nicht in den Garten gekommen? Gott, wie lange sind sie wohl schon da? Wie lange habe ich gebraucht, um das Grab zu graben?
    All das ging ihm verschwommen durch den Kopf.
    Er sah wohl – da war kein Krankenwagen. Aber das hatte nichts zu bedeuten. Vielleicht war seine Frau oben gestorben, und sie hatten sie schon fortgebracht. Muß zu ihr, dachte er. Was auch passiert, ich werde mich nicht von hier fortschleifen lassen, ohne ihr einen Abschiedskuß zu geben.
    Er ging auf die Haustürtreppe zu.
    Kaum hatte Ryan ihn gesehen, als er anfing zu reden.
    »Michael, Gott sei Dank, daß du wieder da bist. Etwas Unverzeihliches ist passiert. Ein Mißverständnis. Gleich nachdem du gegangen warst. Ich verspreche dir, daß so etwas nicht noch einmal vorkommen wird.«
    »Was denn?« fragte Michael.
    Mona schaute ihn an: ihr Gesicht war gleichmütig und unbestreitbar schön auf eine reizende, jugendliche Art. Ihre Augen waren so grün. Es war erstaunlich. Er dachte an das, was Lasher gesagt hatte – über Juwelen.
    »Ein komplettes Chaos zwischen Sicherheitspersonal und Krankenschwestern«, sagte Ryan. »Alle sind unerklärlicherweise nach Hause
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