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Tante Lisbeth (German Edition)

Tante Lisbeth (German Edition)

Titel: Tante Lisbeth (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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Gemeinheit, diese kleine Unschuld zu mißbrauchen! Wenn ich sie auf den rechten Pfad zurückbringe, mache ich damit viel Schlechtes wieder gut... Ich, ich wußte, was ich damals tat!« und sie gedachte ihres Erlebnisses mit Crevel. »Die hier weiß es nicht!«
    »Sind Sie reich?« fragte Itala unvermittelt.
    »Ja und nein!« gab die Baronin zur Antwort. »Für kleine Mädchen wie du bin ich es, wenn sie wieder brav und artig werden...«
    »Wieder brav und artig? Wie kann ich das?«
    »Du müßtest deinen alten Mann heiraten.«
    »Heiraten?«
    Sie lachte spöttisch.
    »Du mußt ihm treu bleiben bis in den Tod!«
    »Das wird nicht lange dauern. Sie wissen gar nicht, wie Vater Wieder hustet und keucht...« Sie machte den alten Mann nach.
    »Sitte und Anstand erheischen es, daß ihr euch kirchlich und standesamtlich trauen laßt. Willst du das?«
    »Vielleicht ist es dann amüsanter!« meinte die Kleine.
    »Du wirst glücklicher sein!« erklärte die Baronin. »Weißt du nicht, daß die in das Paradies kommen, die der Kirche Gebote befolgen?«
    »Was gibt es im Paradies?«
    »Alle Freuden, die du dir nur ausdenken kannst! Da gibt es Engel mit großen weißen Flügeln, und Gott ist da in aller seiner Herrlichkeit, und aller Herzen sind selig bis in alle Ewigkeit!«
    Itala hörte ihr wie einer Musik zu. Sie verstand nichts von alledem und nahm sich insgeheim vor, den alten Wieder darüber zu befragen.
    »So, jetzt geh nach Hause, Kindchen! Ich werde einmal mit Vater Wieder reden. Ist er Franzose?«
    »Elsässer, gnädige Frau! Später, wenn Vater Wieder seine Schulden bezahlt hat und seine sechstausend Francs im Jahre wieder hat, will er mit mir auf das Land ziehen, weit weg, nach den Vogesen!«
    Itala ging. Der Name »Vogesen« lockte Adeline Tränen in die Augen. Sie sah im Geist ihr trautes Heimatdorf. Aus dieser schmerzlichen Erinnerung riß sie der Ofensetzer, der nach Hause gekommen war.
    »Gnädige Frau«, sagte er freudig zu ihr, »so Gott will, gebe ich Ihnen in einem Jahre Ihr Geld zurück! Wie bin ich Ihnen dankbar! Ich möchte Ihnen eines Tages auch einmal helfen!«
    »Das können Sie heute bereits, wenn Sie mir bei einem guten Werke beistehen! Ich habe eben die kleine Itala Judici gesehen, die bei dem alten Manne lebt. Ich möchte etwas für sie tun.«
    »Beim Vater Wieder! Hm! Ein guter alter Mann! Seit er hier im Viertel wohnt, hat er sich manchen Freund erworben. Mir schreibt er die Rechnungen aus. Mir will es so vorkommen, als sei er Offizier unter dem Kaiser gewesen. Er liebt den Kaiser so sehr! Einen Orden von ihm besitzt er auch, aber er trägt ihn nicht eher, als bis er sich wieder hinaufgearbeitet hat. Er hat nämlich Schulden, der arme Mann!«
    »Wollen Sie mich zu ihm hinführen?«
    »Gern, gnädige Frau. Er wohnt keine hundert Schritt von hier, in der Passage du Soleil!«
    Sie machten sich beide auf den Weg dahin. Vor dem Tor eines alten Hauses blieb der Ofensetzer stehen.
    »Hier wohnt er!«
    Der Blick der Baronin fiel auf ein Schild an der Tür eines kleinen Ladens:
    SCHREIBSTUBE
Hier werden Gesuche abgefaßt
und Reinschriften gemacht
Schnell und diskret!
     
    Sie traten in das enge Lädchen ein, von dem eine Innentreppe offenbar in den Zwischenstock hinaufführte. Die Baronin musterte flüchtig die ärmliche Kanzleieinrichtung. Sie erblickte nichts als einen einfachen Schreibtisch, dessen gescheuertes Holz schwarz geworden war, einen alten Lehnstuhl und zwei Stühle. Vor dem Ladenfenster stand ein Vorsetzer aus grünem Taft.
    »Er ist oben!« meinte der Ofensetzer. »Ich will ihn herunterholen, gnädige Frau!«
    Die Baronin zog ihren Schleier übers Gesicht und setzte sich auf einen Stuhl. Schwere Schritte erschütterten die Holztreppe. Sie wandte den Blick hin und war nahe daran, einen lauten Schrei auszustoßen, als sie ihren Mann auf sich zukommen sah: den Baron Hulot in einem abgetragenen grauen Anzug und in Pantoffeln.
    »Was wünscht die gnädige Frau?« fragte er in geschäftlicher Höflichkeit.
    Adeline fuhr auf, erfaßte Hulots Hand und sagte mit vor Erregung gebrochener Stimme:
    »Hektor, habe ich dich endlich wieder!«
    »Adeline!« rief der Baron bestürzt aus und schloß sofort die Ladentür innen ab. – »Joseph«, sagte er dann zu dem Italiener, der hinter ihm die Treppe herabkam, »wenn Sie weggehen, gehen Sie hinten hinaus!«
    »Mein geliebter Freund«, sagte Adeline, im Übermaß ihrer Freude alles vergessend, »komm zu den Deinen zurück! Wir sind wieder reich! Dein Sohn hat
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