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Tante Lisbeth (German Edition)

Tante Lisbeth (German Edition)

Titel: Tante Lisbeth (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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Krankheit ist ansteckend!«
    »Sie gehen ja auch hin, Herr Doktor!« warf die junge Frau ein. »Sollten die Pflichten der Tochter geringer sein als die des Arztes?«
    »Gnädige Frau, ein Arzt weiß sich vor Ansteckung zu schützen. Ihr übereilter Entschluß, sich aufzuopfern, beweist mir, daß Sie meine Vorsichtsmaßregeln nicht einhalten würden.«
    Cölestine ging ins Haus, sich zum Ausgehen umzukleiden. Viktor kam in den Garten, um Näheres zu erfragen.
    »Herr Doktor«, erkundigte er sich, »haben Sie Hoffnung, Herrn und Frau Crevel zu retten?«
    »Hoffnung wohl, aber keinen Glauben«, gab der Arzt zur Antwort. »Die ganze Sache ist mir überhaupt unerklärlich. Diese Krankheit ist bisher nur unter den Negern und gewissen amerikanischen Mischvölkern nachgewiesen, niemals aber an Weißen. Ich wüßte auch gar keine Verbindung zwischen Negern und Mestizen und Herrn und Frau Crevel. So interessant der Fall medizinisch ist, im allgemeinen ist die Krankheit entsetzlich. Die arme Frau, die so hübsch gewesen sein soll, ist für einen Fehltritt furchtbar bestraft worden. Sie ist völlig entstellt. Die Haare sind ihr ausgefallen. Sie sieht wie eine Aussätzige aus und ekelt sich vor sich selber. Eiterungen zerfressen ihr Leib und Glieder.«
    »Wie erklärt sich die gräßliche Zerstörung?«
    »Eine Art Blutzersetzung«, meinte Bianchon, »die sich rapid entwickelt. Ich lasse eine Blutanalyse machen. Wenn ich nach Hause komme, wird mir mein Freund, der bekannte Chemiker Duval, das Ergebnis mitteilen. Vielleicht finden wir dann ein Gegenmittel. Ich hoffe es noch.«
    »Das ist Gottes Hand!« sagte die Baronin tief ergriffen. »Diese Frau hat mir zwar viel Leid angetan, und ich habe in einem halb wahnsinnigen Zustand Gottes Strafe auf ihr Haupt herabgefleht, aber doch möchte ich, daß Sie Erfolg hätten, Herr Doktor!«
    Viktor von Hulot taumelte. Abwechselnd sah er auf Mutter, Schwester und Arzt voller Angst, er könne sich verraten. Er kam sich wie ein Mörder vor.
    Hortense sprach, von der Gerechtigkeit des Schicksals.
    Cölestine erschien und bat ihren Mann, sie zu begleiten.
    »Wenn Sie wirklich hingehen wollen, gnädige Frau«, warnte Bianchon, »dann halten Sie sich einen Schritt von den Kranken entfernt. Das ist unbedingt nötig. Vermeiden Sie auf jeden Fall die körperliche Berührung! Und Sie, Herr von Hulot, sehen Sie streng darauf, daß Ihre Frau diese Vorsichtsmaßregeln nicht verletzt.«
    Adeline und ihre Tochter blieben zurück und begaben sich in Tante Lisbeths Zimmer. Hortenses Haß gegen Valerie war so heftig, daß sie sich nicht beherrschen konnte.
    »Tante, Mutter und ich, wir sind gerächt! Die Giftschlange hat sich selber gebissen!«
    »Hortense«, mahnte die Baronin, »das ist nicht christlich! Du solltest vielmehr Gott bitten, daß die Unglückselige ihre Sünden bereue.«
    »Was soll das heißen?« fragte Tante Lisbeth, von ihrem Lehnsessel auffahrend. »Sprecht ihr von Valerie?«
    »Ja«, erwiderte Adeline, »die Ärzte geben sie auf. Sie stirbt an einer entsetzlichen Krankheit, bei deren bloßer Beschreibung man schon schaudert!«
    Lisbeth bekam heftigen Schüttelfrost. Die Zähne schlugen ihr zusammen, und kalter Schweiß überströmte sie. Sie war erschüttert, denn ihre Freundschaft für Valerie war eine tiefe Leidenschaft.
    »Ich muß zu ihr!« rief sie.
    »Der Arzt hat dir das Ausgehen verboten!«
    »Einerlei! Ich besuche sie... Der arme Crevel. Wie mag er leiden! Er liebt seine Frau grenzenlos!«
    »Er stirbt auch!« erklärte die Gräfin Steinbock. »Alle unsere Feinde sind dem Teufel verfallen!«
    »Sie sind in Gottes Hand!« verbesserte Adeline.
    Tante Lisbeth machte sich zurecht. Sie nahm ihren berühmten gelben Kaschmirschal um, setzte ihren schwarzen Samthut auf und ging ungeachtet der Einwendungen Adelines und Hortenses wie von einer höheren Macht getrieben.
    Sie kam einige Augenblicke später in der Rue Barbet an als Viktor und Cölestine. Sieben Ärzte, die Bianchon hergebeten hatte, waren versammelt, um diesen einzigartigen Krankheitsfall zu studieren. Bianchon selbst war auch bereits da. Alle diese Kapazitäten standen sich in ihren Meinungen einander in zwei Lagern gegenüber. Ein einziger hatte seine Ansicht für sich. Er erklärte die Krankheit für eine künstlich erregte Vergiftung und sprach von Privatrache. Es sei keine mittelalterliche Krankheit. Auch die gemachte Blutanalyse brachte keine Klarheit in die Meinungen.
    Lisbeth blieb wie versteinert drei Schritte von
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