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Talitha Running Horse

Talitha Running Horse

Titel: Talitha Running Horse
Autoren: Antje Babendererde
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gekämmt und sie hatte es zu einem kleinen Zopf zusammengenommen. Über ihren schwarzen Leggins trug sie einen bekleckerten Pullover. Ihr mächtiger Körper füllte die Türöffnung beinahe vollständig aus. Sie hatte die fleischigen Fäuste in ihre unförmigen Hüften gestemmt und machte ein missmutiges Gesicht. »Wird Zeit, dass du kommst, Rich«, zeterte sie. »Ich bin schon halb erfroren.« »Tut mir Leid«, sagte mein Vater. »Aber heute Vormittag war ich in Rapid City, um die Teile zu besorgen, und dann musste ich meinen Pick-up-Truck reparieren. Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte.«
    Charlene winkte ab und verschwand im Haus. Meine Tante war schon immer anstrengend gewesen, aber seit Onkel Frank nicht mehr lebte, war sie unausstehlich geworden. Es schien fast so, als würde sie alle Lebenden für den Tod ihres Mannes verantwortlich machen. Sie achtete nicht mehr auf ihr Äußeres und kümmerte sich kaum noch um den Haushalt. Nur Marlin, ihr einziger Sohn, schien ihr noch etwas zu bedeuten. Und ihre Seifenopern.
    Das mit Onkel Frank war schlimm für uns alle gewesen. Der Verlust seines einzigen Bruders hatte auch meinen Vater schwer getroffen. Mein Onkel war ein fröhlicher und gutherziger Mann gewesen, der immer alle zum Lachen gebracht hatte, sogar Charlene. Er war zur Armee gegangen, um mit dem Geld, das er dort verdiente, seinem Sohn eine gute Schulausbildung zu ermöglichen. Dad sagte, dass Onkel Frank den Krieg, in dem er kämpfte, nie gemocht hatte.
    Nach seinem Tod bekam meine Tante nun eine Hinterbliebenenrente von der Armee und musste sich – im Gegensatz zu uns – um ihr Auskommen keine Sorgen machen. Deshalb verstaubten die Schalen mit den bunten Perlen, aus denen sie früher wunderschöne Muster gestickt hatte. Ihre Perlenarbeiten waren bei den Touristen sehr begehrt gewesen. Aber das interessierte sie alles nicht mehr.
    Als ich das Haus meiner Tante betrat, blieb ich im Flur mit den Schuhsohlen am Boden kleben. Jeder Schritt machte ein Geräusch, als ob man einen Klettverschluss öffnete. Jemand hatte Limonade verschüttet und es nicht für nötig gehalten, sie aufzuwischen. In der Küche stapelte sich haufenweise schmutziges Geschirr und überall lag Kram herum: getragene Kleidungsstücke, Kartons, zerlesene Zeitschriften und Pappteller mit angetrockneten Essensresten.
    Die Reinlichkeit in diesem Haus war seit Onkel Franks Tod ebenso auf der Strecke geblieben wie das Lachen und die indianischen Traditionen. Tante Charlene hatte jetzt überall Heiligenbilder aufgehängt und ging jeden Sonntag in die Kirche.
    Im Wohnzimmer lief der Fernseher. Charlene saß auf der Couch unter einem Plastikjesus und stopfte Kartoffelchips in sich hinein. Obwohl sie mich bemerkt haben musste, tat sie so, als wäre ich überhaupt nicht vorhanden. Marlin schien zum Glück nicht da zu sein, wie ich mit großer Erleichterung feststellte. Ich war nicht wild darauf, meinem großspurigen Cousin zu begegnen.
    Dad trug sein Werkzeug in den Keller und ich half ihm dabei. Als er die Ersatzteile aus dem Pick-up holte, folgte ich ihm nach draußen. »Die Pferde laufen frei herum«, sagte er und zeigte hinüber zum Haus von Charlenes neuen Nachbarn. Es hatte einen frischen dunkelroten Anstrich mit weiß abgesetzten Fensterrahmen und Dachrändern und sah richtig einladend aus.
    Â»Der Besitzer heißt Tom Thunderhawk; ich hab gestern Abend kurz mit ihm gesprochen. Er hat nichts dagegen, dass du dir die Pferde ansiehst. Nur vor dem gefleckten Hengst sollst du dich ein wenig in Acht nehmen. Tom sagt, der mag Fremde nicht besonders. Laufden Weg hinter dem Haus vorbei in die Hügel, dort wirst du die Herde finden.«
    Ich nickte und trat vor Aufregung von einem Bein aufs andere.
    Â»Sei in einer Stunde wieder da, okay.«
    Â»Ja, Dad«, sagte ich und flitzte los.
    Ein breiter Fahrweg führte hinter dem roten Haus vorbei und schlängelte sich in die mit Kiefern bewachsenen Hügel. Von diesen Kiefern hatte das Reservat seinen Namen: Pine Ridge. Tante Charlene hatte immer behauptet, jenseits der Kiefern beginne das Reich der Geister. Ob sie das jetzt immer noch glaubte, wo sie doch nun den Gott der Weißen verehrte und von den Spirits nichts mehr wissen wollte?
    In einigen schattigen Mulden lag noch Schnee, und es wehte ein kalter Wind. Ich blieb stehen und zog den Reißverschluss meiner Jacke bis
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