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Taken

Taken

Titel: Taken
Autoren: Erin Bowman
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Projektion den Himmel; ein Bild, wie es düsterer und bedrückender nicht sein kann.
    Es zeigt Harvey, und er ist tot.
    Er ist an den Holzpfahl auf dem Platz gefesselt. Man hat ihn nackt ausgezogen und ihm ein rotes Dreieck auf die Brust gemalt. Sein Kopf hängt herunter und neigt sich darauf zu, als wolle er die Spitze des Dreiecks küssen.
    In der Ferne wird das Feuerwerk fortgesetzt und überdeckt die Projektion von Harvey, bis er vollkommen verschwindet. Im Angesicht von Harveys Opfer erscheint mir meine Rache an Emma plötzlich kindisch, dumm und vollkommen ungerechtfertigt. Ich konzentriere mich auf lauter falsche Dinge. Es kommt nicht darauf an, es Emma heimzuzahlen. Nicht im Mindesten. Ich fühle mich dadurch nicht einmal besser.
    Wichtig ist doch, dass wir eine Mission erfüllt haben, aber noch lange nicht am Ziel sind. Wenn Frank nicht gestürzt wird, ist Harveys Tod umsonst gewesen. Der Kampf gegen Frank und seine Duplikate – unendlich viele Duplikate, wie ich in Taem erfahren habe – ist wichtiger als alles andere. Erst dann wird sich Harveys Tod gelohnt haben. Erst dann werden Claysoot und die anderen Testgruppen frei sein. Und erst dann werden die Menschen in diesem merkwürdigen Land über ihr eigenes Schicksal und ihre eigenen Gesetze entscheiden können.
    Später, als das Feuer herunterbrennt und Bo und Emma eingeschlafen sind, schmiegt Bree sich an meine Seite. Sie küsst mich lange und fordernd und so vertrauensvoll, dass ich weiß, wie ernst es ihr damit ist, dass sie mit mir zusammen sein will. Erneut überwältigt mich eine Woge von Schuldgefühlen. Ich streiche mit der Hand über ihren Rücken und sie schläft ein.
    Nach der halben Nacht steht Bo auf und übernimmt die Wache, aber ich kann nicht schlafen. Ich bringe es gerade fertig, kurz einzunicken, und wache wieder auf. Meine Arme liegen um Bree, aber mein Blick ruht auf Emma, die im Traum zittert.
    Der Morgen bricht an, und wir sind nicht verfolgt worden. Bo behauptet, das liege daran, dass sie haben, was sie eigentlich wollten. »Harvey ist tot, und das reicht ihnen im Moment. Aber irgendwann werden sie schon kommen, vor allem, wenn sie feststellen, dass wir in ihr medizinisches Zentrum eingedrungen sind und etwas gestohlen haben.«
    Als die Sonne zwischen den dicht stehenden Bäumen aufgeht, meldet Bree sich über Funk bei Ryder und erstattet ihm Bericht. Am ersten Tag wandern wir schweigend. Ab und zu blicke ich über die Schulter und sehe, dass Emma sich mit Bo unterhält. Sie hat die Lippen aufgeworfen und ihre Augen wirken müde. Bo scheint den größten Teil des Redens zu übernehmen. Mit zuckenden Fingern trommelt er auf seinem Schädel herum und versucht ihr Antworten zu entlocken. Emma sieht nur auf die Sanitätstasche hinunter, die sie auf den Armen trägt.
    Nachdem wir an diesem Abend ein Kaninchen gefangen und das Fleisch über dem Feuer gebraten haben, kommt Bo zu mir. »Du solltest wirklich mit ihr reden«, sagt er. »Es tut ihr leid. Und sie ist verwirrt.«
    »Ich habe nichts zu sagen.« Aber sobald die Worte über meine Lippen sind, weiß ich, dass ich mich nicht weigere, mit ihr zu sprechen, weil ich nichts zu sagen habe, sondern weil ich Angst davor habe. Ich fürchte mich, weil ich etwas für Bree empfinde, und nach dem, was ich mit ihr getan habe, bin ich nicht besser als Emma, die ihren Gefühlen für Craw nachgegeben hat. Am liebsten möchte ich mich entschuldigen und Emma sagen, dass es die Vögel noch gibt und ja, dass manche Menschen wirklich so leben möchten. Aber ich habe keine Ahnung, wie ich das in Worte fassen soll.
    Diese ganzen verworrenen Empfindungen ergeben keinen Sinn. Ich folge immer meinem Bauchgefühl und suche mir meinen Weg, ohne viel zu überlegen. Aber diese Sache mit Emma lähmt mich. Wie ist es möglich, dass ich so viel empfinde und trotzdem nicht weiß, was ich tun soll?
    Ein paar Tage später taucht kurz nach Mittag aus dichtem Wald der Mount Martyr vor uns auf. Wir steigen zum Fuß des Felsspalts und stoßen auf Elijah, der, mit dem Rücken an die Steinwand gelehnt, auf uns wartet. Er trinkt aus einer Standard-Feldflasche, aber als er uns zu unserer guten Arbeit gratuliert und jeden von uns umarmt, riecht er nach Alkohol.
    »Ich kann immer noch nicht glauben, dass ihr das Kind geschaukelt habt«, meint er strahlend. »Wir feiern, seit Bree sich mit ihrem Bericht gemeldet hat.«
    Er hält uns die Feldflasche hin, aber als niemand annimmt, fährt er fort. »Wir haben Harvey viel zu
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