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Tagebücher: 1909-1923

Tagebücher: 1909-1923

Titel: Tagebücher: 1909-1923
Autoren: Franz Kafka
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hat von ihm die besten geschäftlichen Ratschläge bekommen. Er hat seine Werke ins Französische bersetzt. Die Hofrätin hatte daher in ihrem Notizbuch stehn “Wie erlangt man die Erkenntnis höherer Welten? bei S. Löwy in Paris.” – In der Wiener Loge ist ein Theosoph 65 Jahre alt, riesig stark, früher ein großer Trinker mit dickem Kopf, der immerfort glaubt und immerfort Zweifel hat. Es soll sehr lustig gewesen sein, wie er einmal bei einem Kongreß in Budapest bei einem Nachtmahl auf dem Blocksberg an einem Mondscheinabend, als unerwartet Dr. Steiner in die Gesellschaft kam, vor Schrecken mit seinem Krügel hinter einem Bierfaß sich versteckte (trotzdem Dr. Steiner darüber nicht böse gewesen wäre) – Er ist vielleicht nicht der größte gegenwärtige Geistesforscher, aber er allein hat die Aufgabe bekommen die Theosophie mit der Wissenschaft zu vereinigen. Daher weiß er auch alles. –
    In sein Heimatsdorf kam einmal ein Botaniker, ein großer okkulter Meister. Der erleuchtete ihn. – Daß ich Dr. Steiner aufsuchen werde, wurde mir von der Dame als beginnende Rückerinnerung ausgelegt. – Der Arzt der Dame hat, als sich bei ihr die Anfänge einer Influenza zeigten, Dr. Steiner um ein Mittel gefragt, dieses der Dame verschrieben und sie damit gleich gesund gemacht – Eine Französin verabschiedete sich von ihm mit “Au revoir”. Er schüttelte hinter ihr die Hand. Nach 2 Monaten starb sie. Noch ein ähnlicher Münchner Fall. – Ein Münchner Arzt heilt mit Farben, die Dr. Steiner bestimmt. Er schickt auch Kranke in die Pinakothek mit der Vorschrift vor einem bestimmten Bild eine halbe Stunde oder länger sich zu koncentrieren. – Atlantische Weltuntergang, lemurische Untergang und jetzt der durch Egoismus. – Wir leben in einer entscheidenden Zeit. Der Versuch des Dr. Steiner wird gelingen, wenn nur die arrhimanischen Kräfte nicht überhand nehmen. – Er ißt 2 Liter Mandelmilch und Früchte, die in der Höhe wachsen. – Er verkehrt mit seinen abwesenden Schülern vermittelst Denkformen, die er zu ihnen ausschickt, ohne sich nach der Erzeugung weiter mit ihnen zu beschäftigen. Sie nützen sich aber bald ab und er muß sie wieder herstellen – Frau Fanta: Ich habe ein schlechtes Gedächtnis. Dr. St. Essen Sie keine Eier.

    Mein Besuch bei Dr. Steiner.
    Eine Frau wartet schon (oben im 2. Stock des Viktoriahotel in der Jungmannsstraße) bittet mich aber dringend vor ihr hineinzugehn. Wir warten. Die Sekretärin kommt und vertröstet uns. In einem Korridordurchblick sehe ich ihn. Gleich darauf kommt er mit halb ausgebreiteten Armen auf uns zu. Die Frau erklärt, ich sei zuerst dagewesen. Ich geh nun hinter ihm wie er mich in sein Zimmer führt. Sein an Vortragabenden wie gewichst schwarzer Kaiserrock, (nicht gewichst, sondern nur durch sein reines Schwarz glänzend) ist jetzt bei Tageslicht (3h nachmittag) besonders auf Rücken und Achseln staubig und sogar fleckig. In seinem Zimmer suche ich meine Demut, die ich nicht fühlen kann, durch Aufsuchen eines lächerlichen Platzes für meinen Hut zu zeigen; ich lege ihn auf ein kleines Holzgestell zum Stiefelschnüren. Tisch in der Mitte, ich sitze mit dem Blick zum Fenster, er an der linken Seite des Tisches. Auf dem Tisch etwas Papiere mit paar Zeichnungen, die an jene der Vorträge über okkulte Physiologie erinnern. Ein Heftchen Annalen für Naturphilosophie bedeckt einen kleinen Haufen Bücher, die auch sonst herumzuliegen scheinen. Nur kann man nicht herumschauen, da er einen mit seinem Blick immer zu halten versucht. Tut er es aber einmal nicht, so muß man auf die Wiederkehr des Blickes aufpassen. Er beginnt mit einigen losen Sätzen: Sie sind doch der Dr. Kafka Haben Sie sich schon länger mit Teosophie beschäftigt? Ich aber dringe mit meiner vorbereiteten Ansprache vor: Ich fühle wie ein großer Teil meines Wesens zur Teosophie hinstrebt, gleichzeitig aber habe ich vor ihr die höchste Angst. Ich befürchte nämlich von ihr eine neue Verwirrung, die für mich sehr arg wäre, da eben schon mein gegenwärtiges Unglück nur aus Verwirrung besteht. Diese Verwirrung liegt in Folgendem: Mein Glück, meine Fähigkeiten und jede Möglichkeit irgendwie zu nützen liegen seit jeher im Litterarischen. Und hier habe ich allerdings Zustände erlebt (nicht viele) die meiner Meinung nach den von Ihnen Herr Doktor beschriebenen hellseherischen Zuständen sehr nahestehen, in welchen ich ganz und gar in jedem Einfall wohnte, aber jeden Einfall auch
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