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Tagebuch (German Edition)

Tagebuch (German Edition)

Titel: Tagebuch (German Edition)
Autoren: Anne Frank
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dass Vater mir in meinem Kampf nie eine Hilfe gewesen ist, dass es vollkommen misslang, als er mir die helfende Hand reichen wollte? Vater hat die falschen Mittel angewendet, er hat immer zu mir gesprochen wie zu einem Kind, das schwierige Kinderzeiten durchmachen muss. Das klingt verrückt, denn niemand anders als Vater hat mir immer viel Vertrauen geschenkt, niemand anders als Vater hat mir das Gefühl gegeben, dass ich vernünftig bin. Aber etwas hat er vernachlässigt: Er hat nämlich nicht daran gedacht, dass mir mein Kampf, hochzukommen, wichtiger war als alles andere. Ich wollte nichts von »Alterserscheinungen«, »anderen Mädchen«, »geht von selbst vorbei« hören, ich wollte nicht wie ein Mädchen-wie-alle-anderen behandelt werden, sondern als Anne-für-sich-allein, und Pim verstand das nicht. Übrigens, ich kann niemandem mein Vertrauen schenken, der mir nicht auch viel von sich selbst erzählt, und weil ich von Pim nichts weiß, werde ich den Weg zur Vertraulichkeit zwischen uns nicht betreten können. Pim bewahrt immer den Standpunkt des älteren Vaters, der zwar auch mal solche vorübergehenden Neigungen gehabt hat, der aber nicht als Freund der Jugend mit mir mitleben kann, so eifrig er auch danach strebt. Das hat mich dazu gebracht, meine Anschauungen und meine gut durchdachten Theorien niemals jemand anderem mitzuteilen als meinem Tagebuch und, ganz selten mal, Margot. Vor Vater verbarg ich alles, was mich berührte, habe ihn niemals an meinen Idealen teilhaben lassen, habe ihn mir mit Willen und Absicht entfremdet.
    Ich konnte nicht anders, ich habe vollkommen nach meinem Gefühl gehandelt, egoistisch zwar, aber ich habe gehandelt, wie es gut für meine Ruhe war. Denn meine Ruhe und mein Selbstvertrauen, das ich so schwankend aufgebaut habe, würde ich wieder verlieren, wenn ich jetzt Kritik an meinem halb fertigen Werk aushalten müsste. Und das habe ich sogar für Pim nicht übrig, so hart das auch klingen mag, denn ich habe Pim nicht nur an meinem inneren Leben nicht teilhaben lassen, ich stoße ihn auch oft durch meine Gereiztheit noch weiter von mir weg.
    Das ist ein Punkt, über den ich viel nachdenke: Wie kommt es, dass Pim mich manchmal so ärgert? Dass ich fast nicht mit ihm lernen kann, dass seine vielen Zärtlichkeiten mir gewollt vorkommen, dass ich Ruhe haben will und am liebsten sähe, er würde mich manchmal ein bisschen links liegen lassen, bis ich ihm wieder sicherer gegenüberstehe? Denn noch immer nagt der Vorwurf von dem gemeinen Brief an mir, den ich ihm in meiner Aufregung zugemutet habe. O wie schwierig es ist, wirklich nach allen Seiten hin stark und mutig zu sein!

    Trotzdem ist es nicht das, was mir die schlimmste Enttäuschung bereitet hat. Nein, noch viel mehr als über Vater denke ich über Peter nach. Ich weiß sehr gut, dass ich ihn erobert habe statt umgekehrt. Ich habe mir ein Traumbild von ihm geschaffen, sah ihn als den stillen, empfindsamen, lieben Jungen, der Liebe und Freundschaft dringend braucht! Ich musste mich mal bei einem lebendigen Menschen aussprechen. Ich wollte einen Freund haben, der mir wieder auf den Weg half. Ich habe die schwierige Arbeit vollbracht und ihn langsam, aber sicher für mich gewonnen.
    Als ich ihn schließlich zu freundschaftlichen Gefühlen mir gegenüber gebracht hatte, kamen wir von selbst zu Intimitäten, die mir nun bei näherer Betrachtung unerhört vorkommen. Wir sprachen über die geheimsten Dinge, aber über die Dinge, von denen mein Herz voll war und ist, haben wir bis jetzt geschwiegen. Ich kann noch immer nicht richtig klug werden aus Peter. Ist er oberflächlich, oder ist es Verlegenheit, die ihn sogar mir gegenüber zurückhält? Aber abgesehen davon, ich habe einen Fehler gemacht, indem ich alle anderen Möglichkeiten von Freundschaft ausgeschaltet und versucht habe, ihm durch Intimitäten näher zu kommen. Er hungert nach Liebe und mag mich jeden Tag mehr, das merke ich gut. Ihm geben unsere Treffen Befriedigung, bei mir führen sie nur zu dem Drang, es immer wieder aufs Neue mit ihm zu versuchen und nie die Themen zu berühren, die ich so gerne ansprechen würde. Ich habe Peter, mehr als er selbst weiß, mit Gewalt zu mir gezogen, jetzt hält er sich an mir fest, und ich sehe vorläufig kein geeignetes Mittel, ihn wieder von mir zu lösen und auf eigene Füße zu stellen. Als ich nämlich sehr schnell merkte, dass er kein Freund sein konnte, wie ich ihn mir vorstelle, habe ich danach gestrebt, ihn dann wenigstens
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