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Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)

Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)

Titel: Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)
Autoren: Karim El-Gawhary
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    Was liegt da näher, als die Ereignisse selbst mit Blog-Einträgen, Facebook-Postings und Twitter-Tweets wiederzugeben? Indem es diese mit Zeitungsreportagen und Live-Gesprächen für Radio und Fernsehen mischt, versucht dieses Buch etwas Neues: mit aus dem Moment geschriebenen und gesprochenen Beiträgen eine Unmittelbarkeit herzustellen und den Leser auf eine ungestüme, ungewöhnliche revolutionäre Abenteuerreise mitzunehmen. Das Buch ist ein Rückblick, ein Zeitdokument, das die Leser direkt zu den Orten und Zeiten bringt, an denen die Revolution stattgefunden hat. Nach dem Raumschiff-Enterprise-Motto: „Scotty, beame mich zum Tahrir-Platz!“
    Dies ist keine Analyse, keine Nacherzählung oder Aufzählung der Ereignisse, die die arabische Welt praktisch über Nacht umwälzten. In vielerlei Hinsicht waren diese zu groß, zu schnell, zu komplex für uns Journalisten, um sie zu begreifen, zu beschreiben und in erklärbaren Portionen an die Leser, Zuschauer und Zuhörer weitergeben zu können. Die Jugendlichen auf der Avenue Bourguiba in Tunis, auf dem Tahrir-Platz in Kairo und die Revolutionäre vor dem Gerichtsplatz in Bengasi, sie alle haben in einer Geschwindigkeit Geschichte geschrieben, mit der wir Journalisten nur atemlos versuchen konnten mitzuhalten. Meist liefen wir den Ereignissen hinterher, angesteckt von ihrer Wichtigkeit und dem Enthusiasmus jener, die sie vorantrieben.
    Es sind Nahaufnahmen aus der Revolution: Denn hier geht es nicht um die arabische Revolution als Studienobjekt, es geht um die zahllosen Menschen, die sie getragen haben, ihre persönlichen Motive und ihre Träume. Was hat sie bewegt, nach drei Jahrzehnten Herrschaft Hosni Mubaraks auf die Straße zu gehen? Was bedeutet es, plötzlich seine Angst zu verlieren, im Tränengasnebel zu stehen, von der Polizei niedergeknüppelt zu werden, seinen Freund neben sich zu sehen, der von einem Scharfschützen des Regimes niedergestreckt wird, und doch am nächsten Tag wieder auf die Straße zu gehen? Welche Verzweiflung, welcher unglaubliche Mut, aber auch welcher Optimismus steckt dahinter? Warum sind eigentlich immer mehr und noch mehr Menschen auf den Tahrir-Platz gekommen?
    ***

    Exemplarisch dafür, wie die Ereignisse immer mehr Menschen in ihren Bann gezogen und gegen das Regime mobilisiert haben, ist die Geschichte des ägyptischen Chirurgen Tarek Hilmi, der mitten in der Revolutionszeit in einer bekannten Talkshow einer privaten ägyptischen Fernsehstation einen denkwürdigen Auftritt hatte, der vieles erklärt: wie die Jugendlichen den Anfang machten, wie langsam eine ganze Familie zu Revolutionären wurde und wie eine Geschichte ein Millionen-Fernsehpublikum dazu zu brachte zu sagen: „So geht es nicht weiter, wir müssen etwas unternehmen.“
    Er sei ein völlig unpolitischer Mensch, erzählte Hilmi in der Talkshow „10 Uhr abends“ im ägyptischen „Dream TV“ am 7. Februar 2011, geleitet von der prominenten Moderatorin Mona Schazly. Sein Leben habe sich bisher zwischen seiner Familie zu Hause und dem Operationssaal im Krankenhaus abgespielt. Zunächst kamen hauptsächlich Jugendliche auf den Tahrir-Platz, die sich über Facebook verabredet hatten. Eine von ihnen war Tarek Hilmis Tochter, die ihrem Vater in den ersten Tagen verkündete, dass sie nun auch zum Tahrir gehe, weil alle ihre Freunde dort seien. Ihr Vater und auch ihr Bruder versuchten es ihr auszureden. Das sei zu gefährlich und „Was haben wir mit Politik zu tun?“, meinten sie. Die junge Frau ließ sich aber nicht davon abhalten. Bald darauf erhielt der Arzt einen Anruf von seinem Sohn, der noch kurz zuvor versucht hatte, seiner Schwester den Tahrir auszureden. „Papa“, sagte er am Telefon, „einige meiner besten Freunde wurden auf dem Tahrir verletzt, ich muss dort hin.“ Weder Tochter noch Sohn kamen nach Hause, sie übernachteten auf dem Platz. Der Arzt erzählt in der Talkshow weiter, dass er kurz darauf einen Anruf von seiner Tochter erhalten habe. Sie flehte ihn an, selbst auf den Platz zu kommen. Es gebe zu viele Verletzte, und Ärzte wie er würden dringend in dem improvisierten Krankenhaus des Platzes gebraucht. Tarek Hilmi war überzeugt, dass seine Tochter übertreibe. Aber er ließ sich trotzdem überreden, ein kleines Team zusammenzustellen und auf den Platz zu kommen. Er sollte den Platz tagelang nicht mehr verlassen.
    Dann erzählte er in der Talkshow von seinen eigenen Erlebnissen, von einem 13-jährigen Jungen, den die
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