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Tage mit Potential

Tage mit Potential

Titel: Tage mit Potential
Autoren: Kaspar Dornfeld
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irgendwas, das vielleicht ein kleines bisschen Nervosität verriet. Statt dessen meldete sich sein Computer zurück.
    »SUCHEN SIE MICH? HIER BIN ICH! HIER!«
    Der Kommissar rollte mit den Augen.
    »DAS HABE ICH GESEHEN.«
    Reemund stützte betont gelangweilt seinen Kopf auf einer Hand ab, während er den Blick so unauffällig, wie möglich über die Leute gleiten lies. Die andere Hand ballte er zur Faust, hob sie über den Monitor und streckte den Mittelfinger. Keine erkennbare Reaktion. Der Typ war gut. Statt dessen fing der Computer wieder an zu schreiben.
    »SIE VERSTEHEN NICHT VIEL VON TÄTERPSYCHOLOGIE?«
    Gehirnwichse, dachte Reemund und teilte durch eine entsprechende Geste dem Raum als Ganzes zumindest den zweiten Teil des Wortes mit. Das gelang ihm mit einer Lässigkeit, die ihn selbst verblüffte, denn eigentlich war ihm eher danach, seinen Laptop voll zu kotzen oder zu schreien.
    »SIE FRAGEN SICH, WAS ICH EIGENTLICH WILL?«
    Der Kommissar zuckte mit den Schultern.
    »WILL ICH AUF MICH AUFMERKSAM MACHEN? POLITISCHE GEFANGENE FREIPRESSEN? IST DAS ALLES HIER EIN STATEMENT? WILL ICH GELD? ODER WILL ICH EINFACH, DASS SIE ZU SPÄT KOMMEN?«
    Reemund deutete ein Gähnen an.
    »ES IST GANZ EINFACH. SIE SOLLEN BLEIBEN, WO SIE SIND, UND MIR NICHT IN DIE QUERE KOMMEN. ICH DENKE, ICH WERDE BALD VERSCHWINDEN. UND SIE MÜSSEN DANN NUR NOCH AUF DAS ENTSCHÄRFUNGSKOMMANDO WARTEN, UND ALLES GEHT WEITER WIE IMMER! ODER VIELLEICHT NICHT! FRÜHSTÜCKEN SIE DOCH WEITER. SIND DAS PFERDEBULETTEN? IST JA EKELHAFT!«
    Der Hauptkommissar zwang sich dazu, seine Gabel zu nehmen, und sie demonstrativ in einen der kalten Fleischklöße zu rammen. Dann hob er ihn hoch und biss ab, den Schweiß, der ihm von der Nase herab auf die Gabel tropfte, tapfer ignorierend. Die Buletten schmeckten ihm nicht mal besonders, aber Reemund hatte auf dem Hinweg ein großes Werbeplakat für einen Reiterhof entdeckt, auf dem eine Schar Kinder mit vor unsagbaren Glück feuchten Augen ein Pony bürstete, das obendrein so aussah, als würde es lächeln. Der Kommissar bekam sofort Appetit auf Pferdefleisch.
    Ein Mann stand auf und ging in Richtung der Toiletten davon. An einem Tisch weiter hinten erhob sich langsam ein anderer, ein Mann mit einer wilden Lockenmähne. Er tippte im Stehen noch ein paar Worte in seinen Laptop. Reemund starrte zwischen ihm und seinem eigenen Computer hin und her.
    »ICH MUSS JETZT LOS! ES HAT MICH GEFREUT, SIE KENNEN ZU LERNEN, HERR HAUPTKOMMISSAR.«
    Der Mann trank noch einen Schluck Kaffee, schüttelte lässig seine Locken und ging ebenfalls zu den Toiletten.
    Reemund sah ihm entgeistert nach und versuchte zugleich, sich zu konzentrieren. Wenn das der Bombenleger war, schwebte der Mann, der vor ihm aufs Klo gegangen war, in erheblicher Gefahr. Jemandem, der Bomben unter Stühle klebt, nur um einen Polizisten, der zufällig im selben Raum ist, in Schach zu halten, war alles zuzutrauen. Am ehesten wohl ein Mord. Das wäre leicht. Er könnte den anderen töten und durch den hinteren Notausgang verschwinden. Und wie elegant das alles war. Reemund saß auf der Bombe fest. Er konnte niemanden zu den Toiletten schicken, denn keiner hier hatte das nötige Training oder eine Waffe. Nichtmal er selbst hatte seine Glock dabei. Außerdem konnte der Lockenkopf noch immer die Bombe fern zünden, sobald er merkte, dass ihm jemand hinterher geschickt worden war. Wenn die Sprengkraft nicht zu groß war, würde ihm da hinten nicht mal was passieren. Was aber, wenn der Lockenkopf nicht der Böse war? Reemund überlegte fieberhaft. Immerhin gab es eine drastische Möglichkeit, das herauszufinden. Er klappte seinen Laptop zu und wartete. Wenn der Täter noch hier war, musste jetzt irgendwas passieren. Doch nichts geschah.
    Also doch die Toiletten.Reemund seufzte leise und fasste einen Entschluss.
    Der Erste Polizeihauptkommissar Ernest Reemund, Leiter der Mordkommission Nummer drei des Berliner Landeskriminalamtes umfasste mit beiden Händen fest seine Stuhlkante, presste sich die Sitzgelegenheit mit aller Kraft gegen das Hinterteil, stellte sich wankend auf und rannte mit ganz kleinen Schritten, brüllend auf die anderen Gäste zu.
    »Eine Bombe! Ich habe eine Bombe! Alle Raus! Raus! Raus!«
    Wann immer Reemund sich später an diesen Moment erinnerte, blieb es ihm unerklärlich, wie er die Leute dazu gebracht hatte, ihm zu glauben. Er selbst hätte an ihrer Stelle den Verrückten kurzerhand unschädlich gemacht und dann die nächste Psychiatrie
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