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Tage mit Potential

Tage mit Potential

Titel: Tage mit Potential
Autoren: Kaspar Dornfeld
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angerufen. Wahrscheinlich sahen das die Gäste nicht viel anders, aber Reemund stieß Tische und Stühle um, brüllte jedem ins Gesicht, rammte dem zeternden Wirt seinen Kopf in die Magengrube und machte soviel Radau, dass er binnen einer halben Minute eine veritable Massenpanik erzeugt hatte und die Leute auf dem Weg nach draußen den Türrahmen verstopften.
    Der Kommissar nahm sich nicht die Zeit, sein Werk näher zu betrachten, sondern stürmte, so schnell es seine gebückte Haltung erlaubte, auf die Tür zum Toilettenflur ein, die er mit Kopf und Kragen aufbrach. Dann wandte er sich in gleicher Absicht dem Herrenklo zu. Da hatte er jedoch weniger Glück, denn genau in diesem Moment öffnete sich die Tür und der Mann, den er als vermeintliches Opfer betrachtet hatte, kam seelenruhig heraus spaziert. Reemund konnte seinen Schwung nicht mehr bremsen, schleuderte den Mann im Vorbeirennen gegen die Wand, flog selbst durch die offene Tür, nur um am anderen Ende des Raumes gegen die Fliesen zu prallen. Durch den Rückstoß kam er wieder einen kurzen Moment lang auf dem Stuhl zu sitzen, bevor der mit ihm nach hinten umkippte. Er schlug hart mit dem Kopf auf, verlor den Halt um die explosive Sitzgelegenheit und rollte einen Meter weit weg.
    »In Deckung! Eine Bombe!«, schrie er entsetzt, rollte sich blitzschnell auf den Bauch, hielt die Hände über den Kopf und wartete.
    Eine halbe Minute lang herrschte Stille, sah man vom Plätschern des Urinstrahls ab, den der Lockenkopf, der vermeintliche Mörder, den entsetzten Blick auf den Polizisten hinter sich gerichtet, gegen die Fliesenwand setzte.
    Reemund hob langsam den Kopf und starrte den Stuhl an. Dann stand er auf, ging hin und drehte ihn um. Es war eine Keksdose, mit Paketklebeband unter dem Stuhl befestigt. Völlig leer. Reemund riss sie ab, feuerte den Stuhl in die eine Ecke, die Dose in die andere. Die beiden Männer, der eine am Boden, der andere weiterhin am vorbei pinkeln, zuckten zusammen. Der Kommissar schaute von einem zum anderen. Wie immer, wenn er sich schämte, war er stocksauer.
    »Sie pissen vorbei«, knurrte er noch. Dann ging er so schnell wie es die Restwürde erlaubte hinaus.
    »Ein beschissener Witz«, fluchte Reemund weitab von jeder Erleichterung, »ein dämliches Spiel. Ha, ha!«
    Dann öffnete er die Tür zum Gastraum und erstarrte.
    »Kein Spiel«, entfuhr es ihm leise.
    Draußen, direkt vor der Tür standen im Halbkreis der Wirt und die Gäste. Sie alle starrten auf einen toten Mann, der im Eingang des Lokals lag, ein Messer im Rücken.
    Der Hauptkommissar begann zu zittern. Der Täter hatte ihn in die Enge getrieben, ihm eine falsche Fährte vorgesetzt und bei allem genau gewusst, wie Reemund handeln würde: Das eigentliche Ziel war die Massenpanik gewesen, während der der Mord niemandem auffiel. Und der Einzige, der dem Täter hätte gefährlich werden können, rannte sich zur Tatzeit auf der Toilette den Schädel ein.
    Reemunds Zittern wurde stärker, als sich die Wut mit Bewunderung für den Kopf hinter diesem genialen Plan vermischte, doch solcherlei Mischgefühle störten jetzt nur. Er zählte die Gäste durch und stutzte. Einer fehlte. Er schloss die Augen und rief sich die Bilder der Gäste von vorhin ins Gedächtnis. Da war eine Frau gewesen, die jetzt nicht mehr da war. Reemund öffnete die Augen und suchte durch die breite Fensterfront die Straße ab. Auf der anderen Seite fuhr in aller Ruhe ein Wagen aus einer Parklücke, klein, dunkel, immerhin ein offenes Verdeck. Da war sie. Eine schöne Frau eigentlich. Sie lächelte.
    Reemund setzte sich in Bewegung. Wie in Trance ging er langsam Schritt für Schritt vorwärts, den Blick immer auf das Auto gerichtet, das nun wendete, um auf die Straße einzubiegen. Er kam an seinem Tisch vorbei und ohne wirklich zu bemerken, was er da tat, griff er seinen Laptop, und ging weiter zum Ausgang. Er trat über die Leiche hinweg, ohne sie eines Blickes zu würdigen, die Augen weiterhin auf die Frau in dem Auto gerichtet.
    »Weg da«, blaffte er die Leute vor der Tür an, die dem vermeintlich Verrückten sofort aus dem Weg sprangen. Eine Gasse öffnete sich vor Reemund und machte den Blick auf die Straße frei. Da kam das Auto, langsam, und die Frau erblickte den Polizisten. Binnen einer Sekunde gefror das Lächeln auf ihrem Gesicht und sie drückte aufs Gaspedal.
    Reemund stieß einen wütenden Schrei aus und rannte ein paar Schritte nach vorn. Dann packte er seinen Laptop wie einen Diskus und
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