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Sumpffieber

Sumpffieber

Titel: Sumpffieber
Autoren: Vicente Blasco Ibañez
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geduldig jede Bosheit Tonets. Mit äußerster Anstrengung ihrer kleinen Arme schleppte sie den Wasserkrug, der fast so groß war wie sie selbst, vom Kanal bis zur Hütte. Zu jeder Stunde trabte sie zum Dorf, um Besorgungen für ihre neue Mutter zu machen, und erdreistete sich bei Tisch nie, den Löffel in den Topf zu stecken, ehe die anderen ihre halbe Mahlzeit hinter sich hatten. Den alten Paloma mit seiner Schweigsamkeit und seinen wilden Blicken fürchtete sie sehr. Nachts schlief sie, da das eine Zimmer von dem Ehepaar, das andere von Tonet und seinem Großvater besetzt war, neben dem Herd auf dem Lehmboden, dessen Feuchtigkeit noch durch das Segeltuch, das ihr als Bett diente, hindurchdrang.
    Ihre einzigen Erholungsstunden waren nachmittags, wenn die Männer noch auf dem See oder auf den Feldern arbeiteten. Dann saß sie neben ihrer Mutter auf der Schwelle, half Segel nähen oder Netze knüpfen, und beide schwatzten dabei vergnüglich mit den Nachbarinnen, mitten in dem großen Schweigen der einsamen, krummen, moosbedeckten Straße, in der die Hühner hin und her liefen und die Enten schnatternd der Sonne das feuchte Weiß ihrer Flügel entgegenbreiteten.
    Tonet ging jetzt nicht mehr zur Dorfschule, dieser vom Magistrat der Stadt Valencia unterhaltenen moderigen Baracke, in der Knaben und Mädchen denTag mit dem Ableiern des Abc und dem Singen von Litaneien verbrachten. Er war beinahe schon ein richtiger Mann, wie sein Großvater feststellte, indem er ihm die Armmuskeln befühlte und auf die Brust klatschte. Gern folgte Tonet dem Alten auf seinen Wasserexpeditionen, und wie ein flüchtiger Blitz schoß er in einem der kleinen Nachen Palomas durch die Kanäle. Kamen Jäger von Valencia, so unterstützte er den Großvater beim Bedienen der Segel und sprang, wo die Durchfahrten eng wurden, ans Ufer, um das Boot mit der Leine weiterzuziehen.
    Er lernte die Fischerei mit der Harpune kennen: das Abstreifen des Sees im Dunkel der langen Winternächte, vom Sonnenuntergang bis zur Morgendämmerung. Am Bug gab Tonet Obacht auf die hell wie eine Fackel brennenden Reiserbündel, von denen ein großer Blutfleck auf das Wasser fiel; achtern handhabte der Großvater die Fitora, eine eiserne Gabel mit zackigen Spitzen. Bis zum Grunde des Sees stieg das Licht hinunter. Man sah das Bett der Muscheln, die am Boden wuchernden Pflanzen – diese ganze geheimnisvolle, tagsüber unsichtbare Welt. Betrogen und geblendet von dem roten Schimmer, kamen die Bewohner des Sees herbei, und jeder Stich der Fitora holte einen großen, verzweifelt mit dem Schwanze schlagenden Fisch.
    Hieran schloß sich die Unterweisung in der Jagd. Die Flinte des Großvaters, ein uralter Vorderlader, der sich durch seinen Knall von allen anderen Waffen der Albufera unterschied, machte Tonet zwar anfänglich gehörige Schwierigkeiten, denn Paloma pfropfte so starke Ladungen hinein, daß die ersten Schüsse den Jungen beinahe umwarfen. Allmählich jedoch verstand er, das »alte Biest« zu beherrschen und die Wasserhühner zur Zufriedenheit des Großvaters herunterzuholen.
    Aber nach dem ersten Jahr dieser rauhen Erziehung nahm Paloma eine unverhüllte Lässigkeit bei seinem Schüler wahr. So sehr diesem auch Fischen und Schießen behagte, so wenig konnte er sich damit befreunden, vor Morgengrauen aufzustehen, den ganzen Tag zu staken oder mit dem Tau um den Leib zu treideln. Außerdem fing der Großvater an, sich anspruchsvoll und tyrannisch zu zeigen. Als er sah, daß der Junge das Boot geschickt führen konnte, gestattete er ihm nicht mehr, nach Belieben auf dem See zu bummeln, sondern belegte ihn schon frühmorgens mit Beschlag. Ohne selbst Hilfe zu leisten, ließ er den Enkel die großen Reusen einholen und wieder auslegen, und wenn die Zeit der Heimfahrt gekommen war, lagerte sich der Alte bequem im Boot, während Tonet schwitzend und keuchend stakte.
    »Ah, solch ein Drückeberger!« ulkten vorbeifahrende Fischer. »Hat's behäbig wie der Pfarrer!«
    Worauf Paloma ihnen mit dem Ernst des Meisters zur Antwort gab:
    »So lernt man! Das ist die Schule meines Vaters ...«
    Allmählich meinte Tonet den See fast zu hassen. Wie ein Heimwehkranker blickte er nach den weißen Hütten Palmars, die sich über den dunklen Linien des Röhrichts abhoben. Wo waren die glücklichen Jahre, als er ohne eine andere Pflicht als den Schulbesuch durch die Dorfgasse schlenderte? Als alle Nachbarinnen seiner Mutter zu solch hübschem Jungen gratulierten? ...
    Dort war er Herr
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