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Sueße Versuchung

Sueße Versuchung

Titel: Sueße Versuchung
Autoren: Mona Vara
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aufgerissenen Augen des Stallburschen, der ihr Rosalind abnahm, gesehen, dass man hier die Schicklichkeit der Bequemlichkeit vorzog. Zum Glück hatte das heimlich kichernde Dienstmädchen sie gleich auf ihr Zimmer gebracht und Sophie so Gelegenheit gegeben, sich schnell umzukleiden, und ihrer Tante statt mit ihrem geliebten weiten Reitrock in einem Kleid entgegenzutreten.
    Sie hatte drei Kleider mit – mehr besaß sie nicht – und dann eben diesen Rock, den sie oftmals in Schottland trug, wenn sie ausritt. Fast alle in ihrem Dorf und der Umgebung trugen diese Art von Röcken. Sie ließen sich bequem hochbinden und störten weder bei der Arbeit im Stall, noch auf dem Feld. Er war so weit, dass sie den Saum von hinten zwischen den Beinen durchziehen, in den Bund stecken, und dann im Herrensitz auf dem Pferd sitzen konnte. Die Beine waren dabei immer noch züchtig bis knapp unter die Knie verdeckt und alles, was sich darunter befand, wurde durch die Stiefel verborgen. Hier, auf englischem Boden, wohlgemerkt. Denn daheim ritt sie gelegentlich ohne Stiefel, mit bloßen Füßen und überhaupt sehr oft in Hosen aus.
    Und dann stand sie Lady Elisabeth das erste Mal gegenüber. Sie sah eine schlanke, fast dünne Frau in einem sehr eleganten Kleid. Das ergraute Haar war in so geordnete Locken gelegt, dass man den Eindruck hatte, keinem Härchen sei auch nur erlaubt, eine andere Richtung einzunehmen als die ordnende Hand ihm zugedacht hatte. Die Augen blickten kühl, die Nase war gerade und ein wenig spitz zulaufend, der Mund wäre hübsch gewesen, hätten die Lippen sich nicht streng zusammengepresst.
    Sophie fröstelte, kaum dass sie das Zimmer betreten hatte. Aber dann fasste sie sich ein Herz und wollte mit einem Lächeln auf die Frau zugehen. Ihre Tante jedoch blieb stocksteif auf der kleinen Bank sitzen, sah Sophie kalt entgegen und hob dann auch noch eine auf einem Stiel befestigte Brille vor die Augen, um Sophie zu betrachten.
    Sophie blieb unsicher stehen.
    »So. Du bist also Annabelles Tochter.«
    Ihre Mutter hatte ihr eingeschärft, dass von wohlerzogenen jungen Damen erwartet wurde, vor älteren Frauen zu knicksen. Sie sank ein wenig ein, bevor sie antwortete.
    »Ja, Madam.« Sie merkte selbst, wie dünn ihre Stimme klang, und musste zugeben, dass sie eingeschüchtert war. Sie konnte mit dem Zorn ihres Vaters, mit den Sticheleien ihrer Brüder umgehen, aber diese Art von Behandlung war ihr fremd. Ihre Familie war weniger zurückhaltend. Man umarmte sich, küsste einander auf die Wange und begrüßte sogar Fremde noch wesentlich herzlicher, als diese Frau die Tochter einer Cousine willkommen hieß.
    Wieder ging der kalte Blick über sie. »Was immer man über deine Mutter sagen konnte, sie wusste sich zu kleiden. Unfassbar, dass sie mir ihre Tochter derart schlecht angezogen ins Haus schickt.«
    Sophie wurde rot. Sie hatte, als sie durch die Städte gekommen waren, und sie die anderen Leute beobachtet hatte, schon geahnt, dass ihre Kleidung nicht ganz dem Standard der wohlhabenden Engländerinnen entsprach, aber als sonderlich schlecht angezogen hatte sie sich nicht empfunden. Das war ihr bestes Kleid! Und es war erst zwei oder drei Jahre alt!
    »Ich hoffe, deine Eltern haben dir genügend Geld mitgegeben, um deine Garderobe wenigstens um einige grundlegende Stücke aufzubessern. So kannst du hier jedenfalls nicht aus dem Haus gehen. Die halbe Stadt würde sich über dich mokieren.«
    Sophie machte den Mund auf, aber in diesem Moment wurde die Tür aufgerissen und ihr um zwei Jahre jüngerer Bruder Malcolm stand darin. Sophie sah mit Genugtuung, wie sein bereites Grinsen beim Anblick von Tante Elisabeth schwand, und er von dem kalten durchbohrenden Blick, den diese Stielbrille noch intensivierte, ebenfalls eingeschüchtert wurde. Dann ging es ihr also nicht allein so. Das war beruhigend.
    »Und wer ist das?« Lady Elisabeths Stimme war wie von Frost durchzogen.
    »Das ist mein Bruder, Madam«, erklärte Sophie hastig, als Malcolm Lady Elisabeth lediglich stumm anstarrte und nicht mehr als eine hölzerne Verbeugung zustande brachte.
    »Dein Bruder ist ebenfalls gekommen?« Die hauchdünnen Augenbrauen zogen sich zusammen. »Davon stand nichts in dem Schreiben deines Vaters, mit dem er mir – sehr kurzfristig, wie ich sagen muss – deine Ankunft mitteilte. Ich bin auch nicht darauf vorbereitet, eurer halben Familie hier Kost und Quartier zu gewähren.«
    »Das müssen Sie auch nicht«, sagte Sophie, die es nicht
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