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Sündenkreis: Thriller (German Edition)

Sündenkreis: Thriller (German Edition)

Titel: Sündenkreis: Thriller (German Edition)
Autoren: Claudia Puhlfürst
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wahrzunehmen beginnen, kann es passieren, dass sie von ihren Plänen abweichen. Es fällt schwerer, jemandem Schmerzen zuzufügen, den man als Individuum sieht.
    »Vereinfacht heißt es: ›Hüte dich, Gott sieht alles‹. Was kannst du noch erkennen?« Er hielt das Bild jetzt dichter vor ihr Gesicht.
    »Links oben liegt ein Mann in einem Bett, um ihn herum stehen fünf Personen. Stirbt er gerade?« Lara betrachtete den kleinen schwarzen Teufel, der über dem Sterbenden auf dem Kopfteil des Bettes hockte, und den Tod, der daneben aus einer Tür lugte.
    »Das nicht, Dummchen!« Stefan Reinmann hatte die Stimme erhoben. »Das Bild in der Mitte!«
    »In der Mitte, in Ordnung. Ich dachte ich soll alles beschreiben.«
    »Die Rundbilder in den Ecken kannst du weglassen. Sie symbolisieren die ›vier letzten Dinge‹, Sterbestunde, Weltgericht, Paradies und Hölle.«
    Lara ließ den Blick über die Szenen des mittleren Rundbildes gleiten, während sie gleichzeitig überlegte, ob es ein Zeichen für individuelle Wahrnehmung war, dass Reinmann sie »Dummchen« genannt hatte. Sie betrachtete den Ausschnitt unten rechts. Eine Frau stand mit dem Rücken zum Betrachter vor einem Schrank. Links neben ihr stand das Wort luperbia . Lara berichtigte sich. Das war ein altes »S« und die Inschrift hieß superbia . Das Wort im darauffolgenden Segment war unscharf, aber Lara wusste trotzdem, was die Buchstaben hießen: » luxuria «. Es folgten entgegen dem Uhrzeigersinn accidia , gula , avaritia und invidia , bis man unten in der Mitte auf ira – den Zorn – traf.
    »Also, was siehst du?« Reinmann bewegte das Bild auf sie zu, als wollte er sie damit stoßen, und zog es dann wieder zurück.
    »Das sind die sieben Todsünden, nicht wahr?«
    »Gut erkannt!« Der Sektenbeauftragte lächelte. »Das ging ja schneller, als ich dachte. Wir sparen Zeit.«
    Lara realisierte, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Du wolltest ihn doch hinhalten. Frag ihn aus, lenk ihn ab. »Was ist das überhaupt für ein Bild?«
    »Man nennt es die ›Madrider Tafel mit den sieben Todsünden und den vier letzten Dingen‹. Es ist eine der bekanntesten Darstellungen der Todsünden, die es gibt. Ist Ihnen Hieronymus Bosch ein Begriff?«
    Lara nickte eifrig. Der Mann hatte sie jetzt wieder gesiezt. Sah er sie jetzt in diesem Disput als ebenbürtigen Partner an? »Hieronymus Bosch war ein niederländischer Maler. So um das fünfzehnte Jahrhundert herum, glaube ich. Galt er nicht als erster Surrealist überhaupt?«
    Stefan Reinmanns Augen funkelten jetzt. »Das wird behauptet, obwohl ich es fragwürdig finde. Auch die Zuordnung dieses Werkes zu ihm ist umstritten. Vielleicht war es einer seiner Schüler oder ein Kopist. Aber das ist zweitrangig.«
    »Was bedeuten denn die Sprüche in den Bändern oben und unten?«
    »Es sind Bibelzitate. Beide stammen aus Kapitel 32 des Buches Deuteronomium.« Stefan Reinmann hielt das Bild jetzt mit der Linken und zeigte mit der Rechten auf das obere Spruchband, wobei er mit dem Rand, der sich ständig einrollen wollte, kämpfte.
    »Ich zitiere den exakten Text: Gens absque consilio est et sine prudentia/utinam saperent et intelligerent ac novissima providerent und so weiter. Das heißt: Denn es ist ein Volk, darin kein Rat ist, und ist kein Verstand in ihnen. Oh, dass sie weise wären und vernähmen solches, dass sie verstünden, was ihnen hernach begegnen wird!« Er holte tief Luft, packte den rechten Rand des Bildes und hob es hoch, sodass Laras Blick automatisch auf die untere Hälfte fiel.
    »Und unten steht: Abscondam faciem meam ab eis et considerabo novissima eorum , was so viel heißt wie, ›Ich will mein Antlitz vor ihnen verbergen, will sehen, was ihnen zuletzt widerfahren wird‹. Ist Ihnen aufgefallen, dass in beiden Zitaten das Wort novissima vorkommt?«
    Lara las noch einmal den Text in dem Spruchband. Sollte sie dem Mann sagen, dass dort nicht novissima sondern novissia stand? War das eine Art »Druckfehler« des Malers? Sie beschloss, darüber lieber zu schweigen, und nickte stattdessen. Stefan Reinmann schien damit zufrieden zu sein: »Das ist die lateinische Bezeichnung für die vier letzten Dinge.«
    »Die vier letzten Dinge … Sterbestunde, Weltgericht, Paradies und Hölle.«
    »Sehr gut!« Es klang überrascht. Dabei hatte sie nur genau zugehört, was der Mann vorhin über die vier Eckbilder gesagt hatte.
    »Und in der Mitte sieht man Jesus?«
    »Jesus Christus mit Wundmalen, stehend in einem Sarkophag.
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