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Südbalkon

Südbalkon

Titel: Südbalkon
Autoren: Isabella Straub
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entgegen.
    Judiths Stimme. »Wir stehen vor deiner Tür, haben dreimal geklingelt, hast du unsere Verabredung vergessen?«
    Das Kaffeekränzchen. Ausgelöscht.
    Ich atme tief durch, drehe mich weg von Pawel, halte meine zitternde Hand vor den Mund, damit er mich nicht hören kann.
    »Ja«, zische ich. »Ich habe sie vergessen. Und weißt du, wo ich bin? In der Neuen Welt. Ganz oben. Wenn man hinunterfällt, landet man auf dem Balkon eines Nachbarn, wusstest du das? Sag mir doch noch eines: Ist Raoul der Vater von Moritz?«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, drücke ich die rote Taste.
    »Du hattest recht«, sage ich zu Pawel. »Es ist wunderbar hier.«

25
    »Das war mein Bett«, sage ich und zeige auf das Bett wie eine Fremdenführerin auf ein historisch wertvolles Gebäude. Das war mein Schrank, hier mein Schreibtisch. Eine Kindheitskulisse, magisch aufgeladen durch tausendfach wiederholte Tätigkeiten. Hier habe ich gemalt, hier habe ich Mädchen gelesen, da hing ein Poster von James Dean, dieses Bild, auf dem er den Gekreuzigten nachstellt, die Zigarette im Mundwinkel.
    Das ist mein Zimmer, Pawel, eine rechteckige Schachtel mit zwei Öffnungen, durch die eine fließt das Mondlicht herein, durch die andere das müde Licht des fünfarmigen Lüsters, der immer nur mit drei Glühbirnen bestückt ist. In diesem Haus schöpft nichts und niemand sein Potential aus.
    Auf den Lüster hatte sich meine Mutter etwas eingebildet. Meine Mutter sagt niemals »Flur«, sie sagt »Entrée«, und dieses Entrée habe zu wirken wie die Feststiege der Wiener Staatsoper, mindestens. Das Entrée, sagt meine Mutter, sei das erste, was ein Gast sehe, das letzte sei es auch. Und da die ersten und letzten Eindrücke die stärksten seien, müsse das Entrée Eindruck schinden, mehr als jeder andere Raum in diesem Haus. Mein Vater ist anderer Meinung, und da er seine Großzügigkeit ausschließlich beim Monopoly ausspielt, rationiert er die Glühbirnen – mit dem Ergebnis, dass der Lüster nur noch einen Teil des Charmes versprüht, mit dem er seinerzeit im Lampengeschäft meine Mutter verführt hatte.
    Als wir in der Beethovenstraße ankamen, war niemand zuHause, und das war mir nur recht. Der Schlüssel lag wie früher unter der Fußmatte. Ich sagte zu Pawel, dass er vor der Tür warten könne, weil wir ohnehin gleich wieder fahren würden. Er blieb mir auf den Fersen. »Wenn ich draußen warte«, sagte er, »kann ich dich nicht kennenlernen.«
    Mein Kinderzimmer ist beinahe zu klein für zwei Erwachsene, die aufrecht und nicht allzu nah beieinander stehen.
    »Leg dich ins Bett«, sage ich. »Dann lernst du mich kennen.«
    Es ist ein schmales Mädchenbett mit verschnörkelten Eisenteilen an Fuß- und Kopfende. Pawel schlüpft aus seinen Sneakers und legt sich vorsichtig auf die Tagesdecke, den Blick starr an die Decke gerichtet.
    »Und jetzt?«
    »Was siehst du?«
    »Nichts?«
    »Dreh den Kopf ein wenig zur Seite«, sage ich.
    »Okay«, sagt er. »Setzt du dich zu mir?«
    »Stell dir vor, es ist Abend und die Tür einen Spalt geöffnet«, sage ich. »Ich war fest davon überzeugt, dass meine Eltern ungeheuerliche Dinge sagten und machten, nachdem ich schlafen gegangen war.«
    »Setz dich zu mir«, wiederholt Pawel.
    Also setze ich mich neben ihn auf das Bett und erzähle. »Wenn ich nicht schlafen konnte, hockte ich mich zur Tür und lauschte ihren Gesprächen. Einmal hörte ich die Stimme einer fremden Frau. Sie war außer Atem und japste. Sie sprach über ihren Mann. Er war Arzt und jahrzehntelang morphiumsüchtig gewesen, nun hatte er sich in der Toilette eingeschlossen und sich mit seinem Jagdgewehr in den Kopf geschossen. Er wählte die Toilette aus Rücksicht auf seine Frau, schließlich ließensich Kacheln besser reinigen als Stäbchenparkett, sagte die Frau und meine Mutter sagte, da habe Sie recht, aber sie hoffe für die Ehefrau, dass es sich um helle Fliesen gehandelt habe und nicht um dunkle, denn Blut sei auf dunklen Fliesen schlecht zu entfernen, da entstünden unschöne Schlieren. Sie redeten über Fliesen. Ich hörte, wie mein Vater die Kredenz öffnete, die Tür klemmte etwas und ächzte. Er öffnet sie nur selten, denn dort hortet er den teuren Alkohol für wichtige Gäste oder große Anlässe. Am nächsten Tag fragte ich sie, was das sei, Morphium. Sie beteuerten, das Wort nicht in den Mund genommen zu haben, außerdem wären sie den ganzen Abend alleine gewesen, ich hätte wohl schon geträumt. Ich traute mich in der Nacht
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