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Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)

Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)

Titel: Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
Autoren: Elisabeth Büchle
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Vorankommen. Zwei wild winkende Männer und eine Dame, die ihren matronenhaften Körper in ein hellgelbes Lampenschirmkleid mit Pelzverbrämung gezwängt hatte, versperrten ihr den Weg.
    »Lassen Sie uns durch! Bitte lassen Sie uns durch«, schrie Lina gegen den Lärm an, fand jedoch keine Beachtung. Tosender Jubel brandete auf und setzte sich in den Kehlen der Menschen fort, wie eine Welle auf See, die unaufhaltsam vorwärtsschwappte. War der Kaiser beim Schloss vor die Menge getreten?
    Noch mehr Neugierige stürmten herbei, drängten in den überfüllten Lustgarten und die an diesem Tag plötzlich viel zu engen Prachtstraßen Berlins. Die füllige Frau im gelben Kleid drückte sich gegen Lina, und der Knauf ihres Spazierstocks, aus weiß schimmerndem Elfenbein gefertigt und in Form eines Pferdekopfes, traf Lina unvorbereitet an der Schläfe. Fast zeitgleich stieß ihr jemand den Ellenbogen rüde zwischen die Schulterblätter. Der Schmerz, der in ihren Kopf schoss, zwang sie, Margarete loszulassen. Zwar nahm Lina den entsetzen Ruf der Freundin wahr, konnte aber nichts für sie tun. Ihre Knie gaben nach. Vor ihren Augen drehte sich alles. Sie taumelte zwei Schritte vorwärts und prallte gegen das rote Brückengemäuer. Weitere Personen rückten von hinten nach, pressten sie förmlich gegen den rauen, von der Augustsonne aufgeheizten Stein.
    Lina war nicht in der Lage, einen Hilfeschrei auszustoßen. Heiße Schauer jagten durch ihren Körper. Sie wurde erdrückt! Ihr fehlte die Luft zum Atmen!
    ***
    Anton Daul kletterte auf die Brüstung der Schlossbrücke und lehnte sich mit der Schulter an den weißen Marmorblock, auf dem eine von acht Statuen thronte. Von oben wirkte die versammelte Menschenmenge wie eine eingepferchte Viehherde, wobei ihr Brüllen diesen Eindruck noch verstärkte. Als Kaiser Wilhelm auf einen Balkon des Stadtschlosses trat, steigerten sich die Begeisterungsrufe der Umstehenden ins Unermessliche. Anton ahnte, dass sich unter die Feiernden auch diejenigen mischten, die zuvor noch gegen das Kriegstreiben protestiert, sich zumindest aber abneigend geäußert hatten. Die Geschehnisse überrollten die Menschen, formten sie zu einer Einheit und peitschten sie zu Begeisterungsstürmen auf, aus denen sie womöglich erst viel zu spät wieder erwachen würden.
    Der Kaiser winkte und erntete tausendfache Zurufe, erneut in die Höhe geworfene Hüte, auch vonseiten der Damen, obwohl die es sich in diesem heißen Sommer nicht nehmen ließen, auch einmal ohne Hut ins Freie zu gehen. Gestandene Männer zollten der Hitze durch fehlende Jacketts und gar in aller Öffentlichkeit hochgekrempelte Hemdsärmel Tribut. Eine Freizügigkeit beiderlei Geschlechts, die noch vor ein, zwei Jahren undenkbar gewesen wäre. Die Gesellschaft befand sich im Wandel, doch die in diesen Tagen stattfindende Veränderung fühlte sich für Anton bedrohlich an.
    Der Kaiser bemühte sich, die Menge zu beschwichtigen, indem er mit seinem nicht verkrüppelten Arm winkte. Schließlich drang seine Stimme bis zu Anton durch: » … danke ich euch für den Ausdruck eurer Liebe, eurer Treue. In dem jetzt bevorstehenden Kampfe kenne ich in meinem Volke keine Parteien mehr. Es gibt unter uns nur noch Deutsche. Und welche von den Parteien auch im Laufe des Meinungskampfes sich gegen mich gewandt haben sollten, ich verzeihe ihnen allen.«
    Anton runzelte die Stirn. Wie wohl Vertreter der SPD diese Worte aufnahmen? Verflogen ihre politischen Erfolge der letzten Jahre und ihr Bestreben nach einem friedlichen Deutschland mit dem an Russland gestellten Ultimatum zur Einstellung der Mobilmachung, das in nicht ganz drei Stunden auslief? Allerdings war nicht einmal der Deutsche Reichstag zusammengetreten. Weder dem Kanzler noch dem Kaiser war es bisher ein Anliegen gewesen, die gewählten Volksvertreter zu befragen, was sie von einem Krieg hielten.
    »Zivilisierte Anarchie« hatte sein Gönner, Professor Barna, wenige Stunden zuvor das momentane Geschehen in Berlin genannt. Kaiser Wilhelm fuhr langsam und deutlich akzentuiert fort: »Es handelt sich jetzt nur darum, dass alle wie Brüder zusammenstehen, und dann wird dem deutschen Volk Gott zum Siege verhelfen.«
    Der Student blies die Wangen auf. In diesem Augenblick war sein Ruf als Friedenskaiser dahin.
    »Anton, Anton, Hilfe!«
    Angesichts der hysterisch klingenden Rufe runzelte Anton die Stirn. War er gemeint? Sein Blick glitt über die Köpfe der Menge unterhalb seines Standplatzes, dabei entdeckte er
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