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Stumme Zeugen

Titel: Stumme Zeugen
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Hand und zog ihn hinter sich her, durch das Wohnzimmer. Dann sah sie Swann. Er lag in der offenen Tür, auf dem Rücken, und aus seinen Ohren strömte Blut auf die Holzdielen. Annie rappelte sich hoch, sprang von der Veranda und rannte über den Hof.
    Monica hörte den Rotor eines sich nähernden Helikopters.
    Sie trat über Swanns Leiche und nahm alles auf einmal wahr. Singer, tot vor seinem Fahrzeug liegend. Gonzales, ebenfalls tot, mit zerschmettertem Kopf.
    Den Helikopter, der direkt auf das Haus zukam. Den Abwind des Rotors, der Zweige schwanken ließ und Dreck aufwirbelte. Den Geländewagen des Sheriffs, der mit eingeschalteter
Sirene auf die Ranch zuraste, gefolgt von zwei weiteren Fahrzeugen und einem Krankenwagen.
    Jess Rawlins saß zusammengesunken auf dem Hof, mit nach vorn gesenktem Kopf, als würde er schlafen. Sein Hut und das Gewehr lagen neben ihm. Annie rannte auf ihn zu, mit weit gespreizten Armen.
     
    Newkirk blickte auf Monica Taylor und ihre beiden Kinder, die am Boden kauerten und weinend den Rancher umarmten, auf den Sheriff und den Krankenwagen wartend. Dann richtete er die Pistole gegen sich selbst.

Mai
    Obwohl die Amerikanerin nie die häusliche Sphäre verlässt
und dadurch in mehrfacher Hinsicht unfrei ist, stelle ich ohne
Zögern fest, dass die Frau nirgends eine höhere Stellung genießt
als hier. Und sollte mich jemand fragen, worauf sich für
mich in erster Linie der außerordentliche Wohlstand und die
wachsende Macht dieser Nation gründen, würde ich antworten,
dass sie sich der Überlegenheit ihrer Frauen verdanken.
     
Alexis de Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika, 1835

    Bevor sich sein Zustand endlich stabilisierte, hing Jess Rawlins’ Leben in dem Helikopter dreimal am seidenen Faden, doch es gab auch danach Momente, wo ihm unklar war, ob er noch im Diesseits oder schon im Jenseits weilte. Das war einen Monat her.
    Nun schien er das Trauma zu überwinden, wenn auch nur nach und nach. Selbst wenn er sich an Einzelheiten nicht erinnerte, es gab Dinge, von denen er einfach wusste, dass sie passiert waren. Der Flug in dem Helikopter, Notärzte, die seine Augenlider hochzogen, ihm Fragen stellten und sich dann wieder unterhielten, als wäre er gar nicht da. Die beiden Männer, die neben ihm lagen, schlafend oder tot, auf einer Seite Villatoro, auf der anderen Hearne. Meine Verbündeten, hatte er gedacht. Seine Welt verfinsterte sich, doch dann verwandelte sich die Finsternis in ein wundervoll strahlendes Weiß, zweimal in der Luft, einmal während der Landung. Das Weiß war überirdisch, wie eine Verlockung. Aber er wurde jedes Mal zurückgeholt, durch Elektroschocks, die sein Herz wieder schlagen ließen. Dann Ärzte, Chirurgen, grelle Scheinwerfer, weitere Operationen, Nadeln, die in seinen Unterarm stachen, der durchdringende Geruch der Antiseptika und seines Blutes, Kugeln, die aus seinem Körper herausoperiert und in einen Metallbehälter geworfen wurden.
    Zwischen den Operationen sah er eine lange Reihe von Gesichtern vorbeiziehen. Einige dieser Menschen kannte er, einige hätte er lieber nicht gekannt, andere waren ihm
völlig fremd. Er wollte sich aufsetzen und die Besucher begrüßen, doch seine Beine spielten nicht mit. Er war in der Lage zu lächeln, zu reden, bestimmte Dinge zu artikulieren. Nicht immer, aber manchmal. Es gab Augenblicke, wo er die Besucher deutlich sah und hörte. Sein Gehirn arbeitete, doch er konnte die Lippen nicht bewegen. Er hasste diese Ohnmacht.
    Aber es gab Dinge, an die er sich deutlich erinnerte.
    Monica, in unterschiedlichen Kleidern, einmal sogar mit neuer Frisur, die ihm sagte, er müsse wieder gesund werden, sie brauche ihn, es sei wichtig.
    Sheriff Carey, der sich entschuldigte, mit dem Hut in der Hand, den Blick zu Boden richtend. An seiner Seite Buddy, zwischen Carey und Jess hin und her blickend. »Sie setzen eine Petition auf, um mich loszuwerden«, sagte Carey. »Die ganze Bande hier. Aber bevor sie mich rauswerfen, gehe ich lieber freiwillig.« Und Buddy fügte hinzu: »Unser alter Sheriff sagt, er will seinen Job wiederhaben.«
    Karen und Brian Ballard, seine Exfrau mit einem Kopfschütteln, als wollte sie sagen, sie habe schon immer gewusst, dass irgendwann so etwas passieren müsse. Ballard, der sie zu trösten versuchte, einen Arm um sie legte und sie behutsam aus dem Zimmer geleitete, bevor sie zusammenbrach. Karen, die sagte, sie wisse nicht, wie sie damit fertig werden solle, wenn Jess jetzt sterbe, er sei
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