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Stufen: Ausgewählte Gedichte

Stufen: Ausgewählte Gedichte

Titel: Stufen: Ausgewählte Gedichte
Autoren: Hermann Hesse
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gemagert, vieler Regen
Und vieler Fröste Opfer, grün von Moosen
Gehn deine milden Wangen, deine großen
Gesenkten Lider still dem Ziel entgegen,
Dem willigen Zerfalle, dem Entwerden
Im All, im ungestaltet Grenzenlosen.
Noch kündet die zerrinnende Gebärde
Vom Adel deiner königlichen Sendung
Und sucht doch schon in Feuchte, Schlamm und Erde,
Der Formen ledig, ihres Sinns Vollendung,
Wird morgen Wurzel sein und Laubes Säuseln,
Wird Wasser sein, zu spiegeln Himmels Reinheit,
Wird sich zu Efeu, Algen, Farnen kräuseln, –
Bild allen Wandels in der ewigen Einheit.

M ORGENSTUNDE
    Grau und blau getürmtes Schattenland
Ruht mit zackigem Gebirgesrand
Dunkelhart vor lichtem Himmelsgrün,
Ruht so ernst, so würdig, ruht so kühn
Wie ein Krieger nach bestandener Schlacht.
Wald und Schluchten hangen tief voll Nacht,
Schläfrig dämmern Dörfer, niedrig, mager,
Schafen gleich auf harter Heide Lager,
Tausendjährig, greis, doch kinderjung
In des alten Bergs Erinnerung,
Der sie gestern erst erbaun gesehen,
Der sie sinken sehn wird und vergehen,
Er, den einst das wilde Erdenweib
Glühend stieß aus schmerzgekrümmtem Leib,
Ehe Wälder, Schluchten, Dörfer waren.
Alles weiß er, der so viel erfahren,
Listig blinzelt er aus scharfer Scharte,
Daß Vergehn und Tod auch ihn erwarte,
Das zu spüren noch nicht steif und kalt genug,
Das zu denken noch nicht reif und alt genug.
Gähnend reckt er sich dem Licht entgegen,
Das den Himmel satt und satter tränkt,
Tief in seinen Schattenklüften regen
Sich die Wasser, die er seewärts lenkt.
Gipfel trägt und Grat er schneebedeckt,
Doch von Felsenstürzen grau gefleckt,
Sie erwarten schweigend und getrosten
Mutes ihren Morgenruf aus Osten.
Und der Ruf erdröhnt: lautlos, nur Licht!
Auf der höchsten Firnenkante bricht
Feuerfarbene Glut aus wie von innen,
Es erglühn, erstrahlen alle Zinnen
Rot und golden, königlich entfacht.
Aufhorcht froh erschrocken und erwacht
Berg und Tal und See. Der Traum zerrinnt,
Der sie niederhielt. Der Tag beginnt.

K LEINER K NABE
    Hat man mich gestraft,
Halt ich meinen Mund,
Weine mich in Schlaf,
Wache auf gesund.
    Hat man mich gestraft,
Heißt man mich den Kleinen,
Will ich nicht mehr weinen,
Lache mich in Schlaf.
    Große Leute sterben,
Onkel, Großpapa,
Aber ich, ich bleibe
Immer, immer da.

M ÜDER A BEND
    Abendwindes Lallen
Klagt erstickt im Laub,
Schwere Tropfen fallen
Einzeln in den Staub.
    Aus den mürben Mauern
Moos und Farne quellen,
Alte Leute kauern
Schweigend auf den Schwellen.
    Krumme Hände lasten
Still auf steifen Knien,
Geben sich dem Rasten
Und Verwelken hin.
    Überm Friedhof flügeln
Krähen schwer und groß.
Auf den flachen Hügeln
Wuchert Farn und Moos.

D ER ERHOBENE F INGER
    Für Wilhelm Gundert
    Meister Djü-dschi war, wie man uns berichtet,
Von stiller, sanfter Art und so bescheiden,
Daß er auf Wort und Lehre ganz verzichtet,
Denn Wort ist Schein, und jeden Schein zu meiden
War er gewissenhaft bedacht.
Wo manche Schüler, Mönche und Novizen
Vom Sinn der Welt, vom höchsten Gut
In edler Rede und in Geistesblitzen
Gern sich ergingen, hielt er schweigend Wacht,
Vor jedem Überschwange auf der Hut.
Und wenn sie ihm mit ihren Fragen kamen,
Den eitlen wie den ernsten, nach dem Sinn
Der alten Schriften, nach den Buddha-Namen,
Nach der Erleuchtung, nach der Welt Beginn
Und Untergang, verblieb er schweigend,
Nur leise mit dem Finger aufwärts zeigend.
Und dieses Fingers stumm-beredtes Zeigen
Ward immer inniger und mahnender: es sprach,
Es lehrte, lobte, strafte, wies so eigen
Ins Herz der Welt und Wahrheit, daß hernach
So mancher Jünger dieses Fingers sachte
Hebung verstand, erbebte und erwachte.

J UNGER N OVIZE IM Z EN -K LOSTER · I
    Meines Vaters Haus im Süden steht,
Sonne wärmt es sanft und Seeluft weht.
Von der Heimat träum ich manche Nacht,
Naß von Tränen bin ich oft erwacht.
    Wittern meine Kameraden schon,
Wie mir ist? Mir bangt vor ihrem Hohn.
Alte Mönche schnarchen rauh wie Tiere,
Ich allein, Yü Wang, bin wach und friere.
    Einmal, einmal nehm ich meinen Stab,
Binde die Sandalen, reise ab,
Tausend Meilen pilgre ich zurück
In die Heimat, ins verlaßne Glück.
    Aber wenn des Meisters Tigerblick
Mich durchbohrt, erkenn ich mein Geschick,
Spüre Glut und spüre Eis im Leibe,
Zittre, schäme mich und bleibe, bleibe.

J UNGER N OVIZE IM Z EN -K LOSTER · II
    Ist auch alles Trug und Wahn
Und die Wahrheit stets unnennbar,
Dennoch blickt der Berg mich an
Zackig und genau erkennbar.
    Hirsch und Rabe, rote Rose,
Meeresblau und bunte
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