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Streiflichter aus Amerika

Titel: Streiflichter aus Amerika
Autoren: Bill Bryson
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macht gar nichts, weil in ein, zwei Wochen jemand anderes ankommt und ein neues Geheimnis des Alterns entdeckt und alle Leute Dr. Schellenberg und seine Entdeckung vergessen – was mir natürlich genau jetzt schon gelungen ist.
    Wir freilich können den Schluß daraus ziehen, daß Vergeßlichkeit vielleicht gar nicht so übel ist. Ich glaube, das war's, was ich Ihnen erzählen wollte, aber um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht mehr.

    Humor? Fehlanzeige!

    Hier bitte mein guter Rat der Woche. Machen Sie in den Vereinigten Staaten keine Witze. Selbst für altgediente Scherzkekse – und ich glaube, ich spreche hier mit einiger Kompetenz – kann ein Witz gefährliche Folgen haben.
    Zu dieser Erkenntnis bin ich neulich beim Passieren der Zoll-und Paßkontrollen auf dem Flughafen Logan in Boston gekommen. Als ich vor den letzten Beamten trat, fragte er mich: »Obst oder Gemüse?«
    Ich überlegte einen Moment. »Aber sicher doch«, erwiderte ich dann. »Ich hätte gern vier Pfund Kartoffeln und ein paar Mangos, wenn sie pflückfrisch sind.«
    Doch schon sah ich, daß ich mein Gegenüber falsch eingeschätzt hatte und diesem Mann nicht nach einem Scherz zumute war. Denn er beäugte mich mit der ruhig düsteren Miene höchster geistiger Konzentration, die man an einem Uniformträger nicht erblicken möchte und schon gar nicht an einem Zoll- und Paßkontrollbeamten der USA. Denn, glauben Sie mir, er und seinesgleichen haben eine Macht, die man tunlichst nicht herausfordern sollte. Ich brauche sicher nur die Worte »Leibesvisitation« und »Gummihandschuhe« zu erwähnen, und Sie begreifen sofort, worauf ich anspiele. Diese Leute haben das gesetzliche Recht, einem den Durchgang zu blockieren, und zwar in jeder Hinsicht.
    Gott sei Dank befand dieser Mann, daß ich nur unglaublich dumm war. »Sir«, erkundigte er sich genauer, »führen Sie Gegenstände wie Obst oder Gemüse mit sich?«
    »Nein, Sir, nein«, antwortete ich sofort und bedachte ihn mit dem respektvollsten, schleimigsten Blick, den ich je zustande gebracht habe.
    »Dann gehen Sie bitte weiter«, sagte er.
    Ich tat, wie mir geheißen, und er schüttelte den Kopf. Garantiert erzählt er noch seinen Enkeln, daß so ein Schafskopf meinte, er sei Gemüsehändler.
    Beherzigen Sie also meinen Rat! Scherzen Sie in den USA nie mit einer Amtsperson, und wenn Sie Ihre Landekarte ausfüllen, kreuzen Sie bei der Frage »Sind Sie jemals Mitglied der kommunistischen Partei oder in der Öffentlichkeit ironisch gewesen?« das Kästchen mit »Nein« an.
    Unser Schlüsselwort ist natürlich »Ironie«. US-Bürger sind selten ironisch. (Das war ironisch: Sie sind es nie.) In den meisten Situationen ist das eigentlich sogar nett. Ironie ist mit Zynismus verwandt, und Zynismus ist moralisch eher verwerflich. Amerikaner – nicht alle, aber eine erkleckliche Anzahl – haben aber weder Zynismus noch Ironie nötig. Alltäglichen Begegnungen treten sie offen und vertrauensvoll, fast rührend direkt entgegen. Sie rechnen in Gesprächen nicht mit verbalen Taschenspielertricks; wenn man sie anwendet, bringt man sie aus der Fassung.
    Diese Theorie habe ich in den ersten beiden Jahren unseres Hierseins an einem Nachbarn ausprobiert. Es begann ganz harmlos. Kurz nachdem wir eingezogen waren, fiel in seinem Garten vor dem Haus ein Baum um. Eines Morgens kam ich vorbei und sah, daß er ihn in Stücke zersägte und auf das Dach seines Autos lud, um zur Müllkippe damit zu fahren.
    »Aha, Sie tarnen Ihr Auto«, bemerkte ich trocken.
    Er schaute mich einen Moment an. »Nein«, klärte er mich auf. »In dem Sturm neulich nachts ist mir der Baum umgestürzt, und jetzt bringe ich ihn zur Müllkippe.«
    Danach konnte ich mich einfach nie mehr davon abhalten, den einen oder anderen Kalauer an ihm zu erproben. Ein beinahe tragisches Ende fand das schließlich, als ich ihm eines Tages von einer katastrophalen Flugreise erzählte, bei der ich über Nacht in Denver stekkengeblieben war.
    »Mit wem fliegen Sie?« fragte er.
    »Ich weiß nicht«, sagte ich. »Es waren alles Fremde.«
    Er schaute mich mit einem Ausdruck an, der Panik verriet. »Nein, ich meinte, mit welcher Linie Sie fliegen.«
    Kurz danach befahl mir meine Frau, mit dem Witzeln aufzuhören, weil er offenbar immer Migräne bekam, wenn er mit mir geplauscht hatte.
    Die einfachste Schlußfolgerung, die man daraus ziehen könnte, wozu auch selbst die scharfsinnigsten Beobachter von außen allzuoft verleitet sind, lautet, daß die Amerikaner
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