Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Titel: Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht
Autoren: Laura Brodie
Vom Netzwerk:
spitzen Fingern hinein und zog das tropfende Armband vorsichtig heraus. Dann wischte sie es mit einemPapiertaschentuch ab und steckte es wieder in die Handtasche. Sie würde tun, worum sie gebeten worden war. Sie würde die Leserbriefe schreiben und das Armband jedem zeigen, der einen Beweis brauchte. Aber sie würde die Briefe mit dem Namen Sandra McCluskey unterschreiben. Grace Murdock würde nichts damit zu tun haben. Und wenn keiner mehr Interviews wollte und das Aufsehen abflaute, und wenn sie in einer anderen Stadt mit einem anderen Job lebte, würde Sandra McCluskey Emma Greene das Armband zurückschicken, ohne Absenderadresse, als Beweis dafür, dass sie ihre Herkulesaufgabe erfüllt hatte. Diese Postsendung würde der letzte Akt in Sandra McCluskeys Leben sein, und vielleicht könnte Grace Murdock dann ihre Tochter mit einem reinen Gewissen erziehen. Vielleicht könnte Grace dann Hoffnung darauf haben, doch noch eine Frau mit Würde zu werden.

25
    »Wow, Mom.« Maggie trank noch einen Schluck Kaffee. »Das war ziemlich heftig. Ich hätte keiner deiner Studenten sein wollen.«
    »Ich war nie streng mit meinen Studenten«, erwiderte Emma. »Vielleicht hätte ich es sein sollen.«
    »Nächsten Mai dürfte es hier ziemlich interessant werden.« Maggie lächelte. »Wenn sie erst mal diesen Leserbrief veröffentlicht hat.«
    Emma zuckte die Achseln. »Ich bezweifle, dass sie es tun wird.«
    Maggie machte große Augen. »Aber sie wirkte so voller Reue.«
    »Natürlich«, sagte Emma. »Jetzt hier, mit uns, tut ihr das alles bestimmt sehr leid. Doch in sieben Monaten, wenn wir beide nicht mehr vor ihr sitzen und sie ihr Leben lebt, wird sie die Notwendigkeit nicht mehr empfinden. Sie wird sich einen anderen Job gesucht haben, und sie wird die Vergangenheit nicht noch einmal aufrühren wollen   …« Emma hielt kurz inne. »Außerdem ist es mir eigentlich auch egal, ob sie es tut oder nicht. Ich glaube, es wäre gut für
sie
– sie erkennt es jetzt vielleicht noch nicht, aber es würde ihr eine schwere Last von den Schultern nehmen. Wenn sie den 16.   Mai verstreichen lässt, ohne etwas zu sagen, wird sie das Wissen darum für den Rest ihres Lebens mit sich herumtragen.«
    »Dann ist es so was wie ein Test?«, fragte Maggie.
    »In gewisser Weise.«
    »Und du hast das alles über die Ehrenrettung gar nicht so gemeint?«
    Emma lächelte. Ehrenrettung war ein melodramatisches Wort, direkt aus ihren Seminaren über die Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft.
    »Weißt du, Mom«, fuhr Maggie fort, »all die Jahre hatte ich immer ein bisschen Angst vor dir.«
    Emma nickte. »Ich weiß.«
    »Hm, ziemlich dumm.«
    Emma schüttelte den Kopf. »Nein, nicht dumm. Das war nur natürlich. Manchmal habe ich Angst vor mir selbst.«
    Es freute sie, Maggie lächeln zu sehen. Vielleicht würden sie und ihre Tochter eines Tages den gleichen ironischen Sinn für Humor haben. »Darf ich dich etwas fragen?«
    »Klar«, sagte Maggie.
    »Kannst du an deiner Highschool nur Mrs Murdock nicht ausstehen, oder ist es die ganze Schule?«
    Maggie dachte nach. »Mrs Murdock ist am schlimmsten, aber die ganze Schule ist ziemlich lahm.«
    Emma sah in ihren Kaffee. »Dein Dad und ich haben in den letzten Monaten schon öfter über eine Privatschule in Washington geredet, ganz in der Nähe meiner Wohnung. Sie soll wirklich gut sein, mit viel mehr Möglichkeiten im Lehrplan, guten Lehrern, engagierten Schülern und toller Ausstattung. Da gibt’s sogar ein Schwimmbad. Wir finden, dass wir sie mal zusammen besichtigen sollten.«
    »Besichtigen?«, fragte Maggie. »Wie in: vielleicht fürs nächste Jahr dort bewerben?«
    »Nur wenn du willst.«
    »Können wir uns eine Privatschule denn leisten?«
    »Es würde etwas knapp werden«, erwiderte Emma. »Aber das Geld vom Haus meiner Eltern wurde für deine Ausbildung gespart, und es würde für ein paar Jahre an der Highschool und für die meisten am College reichen. Den Rest kriegen wir schon irgendwie hin.«
    »Meinst du denn, Dad wäre damit einverstanden, dass ich wegziehe?«
    »Er würde dich bestimmt sehr vermissen, und du müsstest erst mal mit ihm darüber reden. Aber er war es, der es zur Sprache gebracht hat. Er glaubt, dass die Schulbildung in Washington besser ist, und jetzt, da du langsam eine junge Frau wirst, finden wir beide, es ist vielleicht an der Zeit, dass du mal eine Weile bei mir wohnst.«
    »Und was ist mit Kate?«
    »Du könntest sie jeden Monat besuchen kommen«, sagte Emma, »wenn
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher