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Stimmen der Angst

Stimmen der Angst

Titel: Stimmen der Angst
Autoren: Dean R. Koontz
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der Toten, Wesen aus der vierten Dimension oder Begegnungen mit einem Yeti zu empfangen.
    »Hallo, Fig.«
    »Hallo.«
    Fig war damit beschäftigt, einen Fensterrahmen abzuschmirgeln. Seine schwieligen Finger waren mit weißem Schleifstaub überzogen.
    »Hast du mitgekriegt, was mit Skeet los ist?«, fragte Dusty, während er auf dem mit Schieferplatten gepflasterten Weg an Fig vorbeilief.
    Mit einem Nicken sagte Fig: »Dach.«
    »Tut so, als ob er springen will.«
    »Wird er wahrscheinlich auch.«
    Dusty blieb überrascht stehen und drehte sich um. »Glaubst du wirklich?«
    Im Allgemeinen war Newton so wortkarg, dass Dusty jetzt als Antwort kaum mehr als ein Schulterzucken von ihm erwartete. Aber er irrte sich. »Skeet glaubt an nichts.«
    »Was meinst du mit nichts?«, fragte Dusty.
    »Eben nichts, und basta.«
    »Er ist im Grunde kein schlechter Junge.«
    Figs Entgegnung auf Dustys Bemerkung war so wortreich wie für andere eine Tischrede. »Das Problem ist, dass er überhaupt nichts so recht ist.«
    Mit seinem pausbäckigen Gesicht, dem pflaumenförmigen Kinn, den vollen Lippen, der kirschroten, an der Spitze kirschrunden Nase und den rosig weichen Wangen hätte man Fester Newton für einen zügellosen Liebhaber aller leiblichen Genüsse gehalten, wären seine klaren grauen, durch dicke Brillengläser stark vergrößerten Augen mit ihrem kummervollen Blick nicht gewesen, die ihn davor bewahrten, wie eine Karikatur auszusehen. Seine kummervolle Miene hatte nichts mit Skeets gegenwärtigem Todeswunsch zu tun, sondern sie war Dauerzustand bei ihm, drückte die Sorge aus, mit der Fig alles und jeden zu betrachten pflegte.
    »Hohl«, sagte Fig.
    »Skeet?«
    »Leer.«
    »Er wird zu sich selbst finden.«
    »Er hat aufgehört zu suchen.«
    »Sehr pessimistisch«, sagte Dusty, nicht minder wortkarg als Fig.
    »Realistisch.«
    Von einer Diskussion im Radio abgelenkt, die Dusty nur als leises blechernes Flüstern aus einem der beiden Ohrhörer vernahm, legte Fig den Kopf schief. Reglos stand er da, als hätte ihn ein lähmender Strahl aus der Waffe eines außerirdischen Wesens getroffen. Das Schmirgelkissen schwebte über der Fensterbank halb in der Luft, und Figs Blick war, wohl angesichts der bizarren Geschichten, denen er lauschte, von einem noch tieferen Kummer erfüllt als sonst.
    Durch Figs düstere Prognose verunsichert, eilte Dusty zu der hohen, ausziehbaren Aluminiumleiter, über die Skeet aufs Dach geklettert war. Einen Augenblick lang erwog er, sie zur Vorderseite des Hauses zu tragen. Aber möglicherweise würde eine so direkte Annäherung Skeet derartig erschrecken, dass er sprang, bevor ihn jemand mit guten Worten von seinem Vorhaben abbringen konnte. Die Sprossen schepperten metallisch unter Dustys Sohlen, der zügig nach oben stieg.
    Als er von der Leiter aufs Dach sprang, befand er sich auf der Rückseite des Hauses, während Skeet Caulfield auf der Seite zur Straße hin hockte, durch ein Dach aus orangefarbenen Ziegeln verborgen, das in steilem Bogen anstieg wie die schuppige Flanke eines schlafenden Drachen.
    Das Haus stand auf einer Anhöhe, und im Westen, ein paar Kilometer entfernt, konnte man hinter der dicht besiedelten Ebene um Newport Beach und dem Hafen den Pazifik sehen. Das gewohnte Blau hatte sich wie Sedimentgestein auf dem Meeresgrund abgesetzt, während die Wellenfetzen an der Wasseroberfläche nichts als schwarz gesprenkeltes Grau in allen Schattierungen waren: ein Widerschein des drohenden Himmels. Am Horizont verschmolzen Himmel und Meer, wie es aussah, zu einer gewaltigen Welle, die, wäre sie echt gewesen, genug Kraft gehabt hätte, tausend Kilometer weiter landeinwärts die Rocky Mountains im Osten zu überfluten.
    Hinter dem Haus, in zehn Metern Tiefe, war der Hof mit Schieferplatten gepflastert, die für Dusty eine viel näher liegende Gefahr waren als das Meer und der aufziehende Sturm. Es fiel ihm wesentlich leichter, sich den eigenen Körper zerschmettert dort unten im Hof vorzustellen, als vor seinem inneren Auge ein Bild der überfluteten Rocky Mountains heraufzubeschwören.
    Dem Meer und dem gefährlichen Abgrund den Rücken zugewandt, den Oberkörper leicht nach vorn geneigt und die Arme vor sich ausgebreitet, um die tückische Wirkung der Schwerkraft auszubalancieren, die ihn rückwärts zu ziehen drohte, kletterte Dusty nach oben. Von der Küste wehte eine steife Brise herüber. Sie hatte zwar noch keine Sturmstärke erreicht, aber Dusty war dennoch froh, den Wind als
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