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Stille über dem Schnee

Stille über dem Schnee

Titel: Stille über dem Schnee
Autoren: Anita Shreve
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»und dann wird
ein Verhandlungstermin festgesetzt.«
    Â»Kann ich sie besuchen?« frage ich.
    Â»Nein, ausgeschlossen«, sagt Warren. Er wendet sich meinem Vater zu.
»Ich habe noch einiges zu erledigen, aber Sie sagten, Sie würden erreichbar
bleiben.«
    Â»Ja.«
    Â»Ich muß Sie vielleicht noch einmal sprechen.«
    Â»Woher wußten Sie, daß Sie zu uns kommen mußten?« fragt mein Vater.
    Warren klimpert mit Kleingeld in seiner Hosentasche. »Der Inhaber
der Eisenwarenhandlung sagte, in den letzten Tagen seien nur drei neue Leute
bei ihm im Laden gewesen – ein Paar aus New York und eine junge Frau, die fragte,
wo sie einen Tisch kaufen könne.«
    Der Kriminalbeamte sieht mich an. Er sagt nichts davon, daß er
Sweetser ein zweites Mal befragt hat, weil ich damals gesagt habe, die Kotex
seien nicht für mich, oder weil ich ihm die Lüge von der vergessenen Axt aufgetischt
habe oder weil ein Haus, das so weit außerhalb liegt und nicht an die
städtische Wasserversorgung angeschlossen ist, vermutlich Strom braucht, um
eine Pumpe zu betreiben, die genug Wasser für eine Dusche liefert.
    Â»Darum war der Pflug so früh bei uns«, sagt mein Vater.
    Â»So lange haben wir gebraucht, um Ihre Straße hinaufzukommen. Wir
waren gerade auf dem Weg, als wir den Malibu sahen.«
    Â»Es ist eine traurige Geschichte«, sagt mein Vater.
    Â»Sie sind alle traurig«, sagt Warren.
    Mein Vater und ich gehen hinaus in den hellen Tag. Mein Vater
setzt seine Sonnenbrille auf. Ich beschatte die Augen mit der Hand.
    Â»Wie
war’s?« frage ich.
    Â»Er hat mir eine Menge Fragen gestellt.«
    Â»Hatten sie einen durchsichtigen Spiegel?«
    Â»Ja.«
    Â»Und eine grelle Lampe an der Decke?«
    Â»Es war ein ganz gewöhnliches Zimmer mit einem Tisch und zwei
Stühlen.«
    Â»Und ihr habt nur geredet ?«
    Â»Ja, kann man sagen«, antwortet mein Vater. Er schaut mich an.
»Warum? Was hast du denn erwartet?«
    Â»Ich weiß auch nicht«, sage ich. »Irgendwas.«
    Wir klettern in den ausgekühlten Laster. Mein Vater startet den
Motor und stößt rückwärts aus dem Parkplatz heraus. Vorsichtig reiht er sich in
den Verkehr ein. Er zieht den Wagen zu spät auf die rechte Spur hinüber und
schneidet einen Autofahrer. Der hupt, aber mein Vater scheint es nicht zu
hören. Seine Bewegungen sind langsam, sein Blick ist glasig. Vor einer roten
Ampel hält er an.
    Â»Glaubst du, daß wir Charlotte jemals wiedersehen?« frage ich.
    Â»Ich weiß es nicht«, antwortet mein Vater.
    Die Ampel schaltet um, aber mein Vater fährt nicht los. Der Fahrer
hinter uns hupt wieder.
    Â»Es ist Grün«, sage ich.
    Wir lassen Concord hinter uns, um in unser abgelegenes Haus am
Waldrand zurückzukehren. Mein Vater fährt wie ein alter Mann. Er ist tief in
Gedanken. Vielleicht läßt er irgendwelche Szenen noch einmal vor sich ablaufen
oder denkt über das nach, was Detective Warren damals gesagt hat, daß man immer
an die Orte zurückkehren muß, wo man innerlich erschüttert wurde. Ich halte den
Blick auf die Straße gerichtet, als säße ich neben einem Fahrer, von dem zu
fürchten ist, daß er gleich einschläft. Beide Spuren sind frei, und der Verkehr
fließt ziemlich flott. Es ist der Heilige Abend, und jeder wird irgendwo
erwartet.

 
    Â  AUF DEM HEIMWEG VON CONCORD fahren
wir durch den Ort. Ich brauche meinen Vater nicht mehr zu ermahnen, auf die
Ampeln zu achten. Er hält vor Remy’s Lebensmittelladen und sagt, er müsse noch
ein paar Dinge besorgen, die auf Omas Liste stehen. Jedes Jahr ruft meine
Großmutter vor ihrem Besuch an, um meinem Vater zu diktieren, welche Zutaten
sie für das Essen am Heiligen Abend braucht. Sie landet sozusagen mit dem
Kochlöffel in der Hand.
    Ich
warte die sechs, sieben Minuten, die mein Vater für die Einkäufe braucht,
draußen im Wagen. Mein Vater ist der schnellste Einkäufer im ganzen südlichen
New Hampshire. Ich habe immer noch Schlafspuren im Gesicht und brauche eine
Dusche. Meine Zähne habe ich seit dem Frühstück am Vortag nicht mehr geputzt.
Aber ich bin ganz zufrieden, mit den Füßen auf dem Armaturenbrett im Laster zu
sitzen und die Leute zu beobachten, die zu Remy’s gehen oder zu Sweetser oder
zur Kirche, wo die Kongregationalisten im Keller ihren alljährlichen
Vorweihnachtsbasar abhalten. Sogar
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