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Stille über dem Schnee

Stille über dem Schnee

Titel: Stille über dem Schnee
Autoren: Anita Shreve
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in
Zellophan verpackt, zwei Schalen mit Plätzchen.
    Â»Wir brauchen Steine«, sagt Jake.
    Â»Wofür?« fragt der Ältere.
    Â»Für die Augen.«
    Der Ältere schaut sich in der Küche um. Sein Blick bleibt an einer
Schachtel Whitman’s hängen. Er reißt das Zellophan auf, hebt den Deckel und
zeigt uns darunter zwölf runde dunkle Schokopralinen.
    Perfekt, denke ich.
    Er reicht die Schachtel herum, und wir essen jeder eine Praline. Ich
nehme noch zwei dazu und lege sie auf meine flache Hand. Die Jungen ziehen
Jacken und Stiefel an. Der Ältere findet noch eine Mütze und einen Schal für
den Schneemann. »Wie heißt du?« frage ich ihn.
    Â»Jonah«, sagt er. »Und das ist Jeremy.« Er deutet auf den kleineren
Jungen mit der Brille. Sie sehen alle ihrer Mutter ähnlich, mit aufgeworfenen
kleinen Nasen und breiten Wangenknochen, allerdings sind nur Jonah und Jake
dunkel. Jeremys Haar ist weißblond.
    Wir richten unseren Schneemann her. Die Karotte und die
Schokoladenkugeln verleihen ihm ein gutmütiges, aber etwas dümmliches Aussehen.
Kaum sind wir einen Moment unaufmerksam, ißt Jonah eins der Augen auf. Wütend
und den Tränen nahe wirft Jake einen hastig zusammengedrückten Schneeball nach
seinem älteren Bruder. Augenblicklich bin ich mitten in einer
Schneeballschlacht, wobei allerdings unklar ist, auf wessen Seite ich stehe.
    Â»Jungs!« ruft die Mutter gelangweilt, als hätte sie es schon
fünfzigtausendmal gesagt.
    Jonah läßt sich rückwärts in den Schnee fallen und schiebt die
ausgestreckten Arme auf und ab, um einen Engel zu machen. Ich kann nicht
widerstehen und lege mich ebenfalls hin. Der Schnee kriecht unter meine Jacke
und meine Bluse. Mir fällt ein, daß ich gerade meine Periode bekommen habe, und
ich setze mich auf. Für so was bin ich wirklich zu alt, denke ich.
    Mein Vater steigt wieder in das Auto, gibt kräftig Gas, und der
Wagen schießt vorwärts. Die Frau namens Leslie nimmt ihre Mütze ab. Braune
Locken fallen ihr auf die Schultern. Der Pony klebt ihr an der Stirn. Mein
Vater steigt aus dem Wagen und sagt etwas. Ich kann es nicht hören. Die Frau
zeigt zum Haus. Ich vermute, sie bittet ihn zu einer Tasse Kaffee oder einer
heißen Schokolade ins Haus. Mein Vater schaut zu mir herüber und weist dann auf
den Laster. Einkäufe, sagt er wahrscheinlich zu ihr. Meine Mutter wartet am
Flughafen. Die Frau lächelt meinen Vater an, und ich weiß, daß sie sich
überschwenglich bedankt. Er schüttelt den Kopf. Es war mir ein Vergnügen.
    Â»Nicky«, ruft er.
    Â»Bis bald«, sagen die Jungs zu mir.
    Mein Vater und ich steigen in den Laster. Ich habe Schnee in den
Socken und unter dem Bund meiner Jeans. Die Frau winkt uns nach, bis wir
abbiegen.
    Â»So«, sagt mein Vater.
    Während mein Vater zum Flughafen fährt, um meine Großmutter
abzuholen, suche ich den Baumschmuck heraus. Es ist nur der »zweitschönste«
Schmuck, der Karton, in dem der »schönste« verpackt war, ist verschwunden,
weder mein Vater noch ich wissen, was aus ihm geworden ist. Unter den Stücken,
die wir noch haben, sind fünf holzgeschnitzte Schneemänner, handbemalt. Man
sieht auf den ersten Blick, welche ich bemalt habe und welche meine Mutter. Wir
haben fünf silberne Kugeln, die mit buntem Glitzer besetzt sind, Ergebnis eines
weiteren Kunstprojekts, als ich acht war. Ich erinnere mich an den Geruch des
Klebstoffs und wie der Glitzer auf den Tisch und auf den Boden rieselte, so daß
man es noch Monate später im Teppich aufblitzen sah. Es sind ein Dutzend kleine
rote Äpfel aus Holz da, die meisten von dünnen Sprüngen durchzogen, eine Folge
der Temperaturwechsel oben im Speicher. Dann haben wir noch einen Pappteller
mit aufgeklebten goldenen Makkaroni und in der Mitte einem Bild von mir, als
ich sechs Jahre alt war. Meine Mutter behauptete, es sei das schönste Geschenk,
das sie in dem Jahr bekommen habe. Zum Teil haben die Dinge richtige Haken zum
Aufhängen, aber vielen fehlen sie. Ich bastle aus Büroklammern provisorische
Aufhänger. Ich suche die Lichterketten heraus und stecke sie ein, um zu sehen,
ob sie funktionieren. Das tun sie, aber sie sind alle hoffnungslos miteinander
verheddert. Jedes Jahr nehmen wir uns vor, sie sorgfältig aufzuwickeln, bevor
wir sie in den Karton verfrachten, aber wir tun es nie. Wir stopfen sie einfach
hinein.
    Im
Auto
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