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StatusAngst

StatusAngst

Titel: StatusAngst
Autoren: Alain de Botton
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verbringen. Als 1950 die Mall von Southdale, Minnesota, eröffnet wurde, empfahl sie sich mit der Ankündigung: »In Southdale ist jeder Tag der ideale Einkaufstag.«
    In den siebziger Jahren brachten die Amerikaner Schätzungen nach mehr Zeit in der Mall zu als irgendwo sonst abgesehen von ihrem Arbeitsplatz und ihren Tadsch Mahals.
     

    Andreas Gursky, 99 Cents, 2000
     

     

 
     
     
     
Gleichheit, Erwartungen und Neid
     
1
     
    Die Errungenschaften der zweihundertjährigen westlichen Zivilisation sind zur Genüge bekannt: ein gewaltiger Zuwachs an Reichtum, Nahrungsressourcen, Wissen, Waren, an Sicherheit, Lebenserwartung und wirtschaftlichen Potenzen. Nicht so bekannt, aber umso beunruhigender ist, dass diese Fortschritte von einem Phänomen begleitet werden, das Nixon in seiner Rede an die Sowjetbürger unerwähnt ließ: dem Anstieg der Statusangst beim westlichen Normalbürger, und gemeint ist damit eine zunehmende Sorge um sein Ansehen, um Karriere und Einkommen.
    Das merkliche Schwinden des materiellen Mangels wurde anscheinend—und paradoxerweise—von einem fortdauernden und sogar wachsenden Gefühl des Mangels und der Angst davor begleitet. Menschen, denen es ungleich besser geht als ihren Vorfahren, die die unsicheren mittelalterlichen Böden Europas bestellten, neigen stark zu der bemerkenswerten Ansicht, dass das, was sie sind und haben, bei weitem nicht ausreicht.

 
2
     
    Diese Mangelgefühle werden jedoch verständlicher, wenn wir ihre verborgenen Mechanismen betrachten. Unser Gefühl für die Angemessenheit —zum Beispiel von Reichtum und Reputation - ist nicht Ausdruck unabhängiger Entscheidungen, sondern erwächst aus dem Vergleich unserer Situation mit der einer Referenzgruppe, derjenigen Menschen also, denen wir uns ebenbürtig fühlen. Ohne diesen Vergleich können wir das, was wir haben, nicht bewerten, und auch der historische Vergleich - das Wissen, dass es unseren Vorfahren viel schlechter ging - hilft da nicht weiter. Wir schätzen uns erst glücklich, wenn wir genauso viel oder mehr haben als die Leute, mit denen wir aufgewachsen sind, mit denen wir arbeiten, mit denen wir befreundet sind, mit denen wir uns identifizieren.
    Müssen wir in einer elenden Hütte vegetieren und uns dem despotischen Willen eines Adligen beugen, Herrn über ein großes, komfortables Schloss, erscheint uns dieses Los zwar beschwerlich, aber dennoch normal. Solange es unseren gleichgestellten Nachbarn nicht besser geht, spüren wir keinen Neid. Haben wir aber ein hübsches Häuschen, einen zufrieden stellenden Job und erfahren dummerweise etwa bei einem Klassentreffen, dass einige unserer alten Freunde (eine stärkere Referenzgruppe gibt es nicht) viel größere Häuser besitzen und viel einträglichere Berufe ausüben, kehren wir leicht mit dem quälenden Gefühl nach Hause zurück, dass wir benachteiligt sind.
    Es ist das dumpfe Gefühl, dass wir mehr sein könnten — ein Gefühl, das uns das bessere Fortkommen der anderen eingibt, die wir für gleichrangig erachten —, das Angst und Verdruss erzeugt. Sind wir sehr klein geraten und leben unter Menschen, die alle nicht größer sind, stören uns die fehlenden Zentimeter kaum.

    Abb. 3
     
    Aber wenn andere in der Gruppe auch nur unwesentlich größer sind, werden wir von Unzufriedenheit und Neid gepiesackt, obwohl wir kein bisschen geschrumpft sind.
     

    Abb. 4

     
    Angesichts der vielen Ungleichheiten, mit denen wir tagtäglich konfrontiert sind, ist es vielleicht das Erstaunlichste am Phänomen des Neides, dass es uns gelingt, nicht jeden zu beneiden, der uns begegnet. Es gibt Leute, deren enorme Gaben uns völlig kalt lassen, während bei anderen schon der kleinste Vorsprung zur Quelle endloser Qualen wird. Wir beneiden nur die, denen wir uns ebenbürtig fühlen; wir beneiden nur die Mitglieder unserer Referenzgruppe. Es gibt kaum einen Erfolg, der schwerer zu ertragen ist als der vermeintlich Gleichgestellter.
     
3
     
    David Hume, Abhandlung über die menschliche Natur, Edinburgh 1739:
    »Es ist nicht das große Missverhältnis zwischen uns und anderen, das Neid erzeugt, sondern im Gegenteil die Nähe. Ein gewöhnlicher Soldat beneidet seinen General nicht so wie etwa seinen Feldwebel oder Unteroffizier, auch wird ein bedeutender Schriftsteller von minderen Skribenten weniger beneidet als von Autoren, die beinahe an ihn heranreichen. Ein großes Missverhältnis schneidet den Bezug ab und hält uns entweder davon ab, uns mit dem Entfernten
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