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Stalins Geist

Stalins Geist

Titel: Stalins Geist
Autoren: Martin Cruz Smith
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gedümpelt. Und hier stand er nun in der U-Bahn und versprühte Speichel vor lauter Verwirrung und Wut. »Das war ein Jux, oder es ist nicht passiert. Aber warum sollte sich jemand einen solchen Jux machen? Und warum tun diese Scheißkerle es in meinem Bezirk? Wie soll ich verhindern, dass jemand als Stalin auftritt? Sollen wir die Metro schließen, damit die Beamten auf Händen und Knien nach den Fußspuren eines Geistes suchen können? Ich mache mich lächerlich. Es könnten Tschetschenen gewesen sein.«
    Das war Verzweiflung, dachte Arkadi. Er schaute zum Tunnel. Die Uhr zeigte 04:56. »Dabei brauchen Sie mich nicht.«
    Der Staatsanwalt trat dicht an ihn heran. »Seltsamerweise doch. Selenski tut, als wäre es ein Wunder gewesen. Ich sage Ihnen, Wunder geschehen nur auf Anweisung von oben. Fragen Sie sich, wo die Agenten der Staatssicherheit bei all dem sind. Wo ist der KGB?«
    »FSB heißt er jetzt.«
    »Derselbe Klumpatsch. Sonst sind sie überall. Plötzlich sind sie es nicht. Ich kritisiere das nicht, kein bisschen, aber ich weiß, wann jemand mir die Hose herunterzieht und mich von hinten fickt.«
    »In der U-Bahnstation eine Maske zu tragen ist kein Verbrechen, und ohne ein Verbrechen kann es auch keine Ermittlungen geben.«
    »Und da kommen Sie ins Spiel.«
    »Ich habe keine Zeit dafür.« Arkadi wollte am Komsomol-Platz sein, wenn die U-Bahn wieder fuhr.
    »Die meisten unserer Zeugen sind ältere Leute. Sie müssen empfindsam behandelt werden. Sind Sie nicht genau das - unser empfindsamer Ermittler?«
    »Es gab kein Verbrechen, und als Zeugen sind sie nutzlos.« Antipenko und Mendelejew saßen Seite an Seite wie die Steine einer baufälligen Mauer.
    »Wer weiß? Vielleicht öffnen sie sich. Mit etwas Mitgefühl kommt man bei Leuten dieses Alters manchmal sehr weit. Dazu kommt Ihr Name.«
    »Mein Name?«
    »Der Name Ihres Vaters. Er hat Stalin gekannt. Er war einer von Stalins Lieblingen. Das können nicht viele von sich sagen.«
    Und warum nicht?, dachte Arkadi. General Kyril Renko war ein talentierter Schlächter und überhaupt keine empfindsame Seele. Selbst angesichts dessen, dass alle erfolgreichen Kommandeure Schlächter waren - »niemand wurde von seinen Soldaten leidenschaftlicher geliebt als Napoleon«, wie der General immer sagte -, selbst angesichts dieses blutigen Maßstabs ragte Kyril Renko heraus. Ein Auto, ein langer Packard mit Soldaten auf den Trittbrettern, pflegte den General abzuholen und zum Kreml zu bringen. Entweder zum Kreml oder zur Lubjanka, das war erst klar, wenn der Wagen am Bolschoi links oder rechts abbog - nach links in eine Zelle in der Lubjanka oder nach rechts zum Spasski-Tor des Kreml. Andere Generäle machten sich während der Fahrt in die Hose. General Renko akzeptierte die Entscheidungen des Schicksals als eine Tatsache des Lebens. Er erinnerte Arkadi immer daran, dass sein eigener schneller Aufstieg beim Militär nur dadurch ermöglicht worden war, dass Stalin am Vorabend des Krieges tausend russische Offiziere hatte hinrichten lassen. Wie sollte Stalin einen solchen General nicht zu schätzen wissen?
    »Was ist mit den Beamten, die am Schauplatz waren?«, fragte Arkadi.
    »Urman und Isakow? Sie haben doch selbst gesagt, dass hier keine kriminelle Handlung vorliegt. Es ist eine Sache, die wir vielleicht nicht mal in den Akten haben wollen. Angebracht ist eine humane, informelle Untersuchung durch einen Veteranen wie Sie.«
    »Ich soll Stalins Geist finden?«
    »Sie sagen es.«
     
    Drei
    Ein untersetzter Mann in Unterwäsche saß am Küchentisch. Sein Kopf lag auf dem Unterarm, und in seinem Nacken steckte ein Hackmesser. Ein Techniker der Spurensicherung machte eine Videoaufnahme des Tatorts, und ein zweiter löste die Hand des Toten von einem Wasserglas. Darin war noch Wodka, erfuhr Arkadi von Isakow. Die Hälfte davon wurde in ein Reagenzglas gegossen, um die Flüssigkeit auf Rattengift zu untersuchen, was auf eine vorsätzliche Tat hindeuten würde. Verkrustete Teller, Gurkengläser und glitzernde leere Wodkaflaschen türmten sich in einer Ecke, sodass auf der Abtropfplatte Platz für offene Packungen mit Zucker und Hefe war. Im Spülbecken stand ein Dampfdrucktopf zwischen Gummischläuchen und Plastikröhren. Am Ende eines Röhrchens trat Alkohol aus; die Tropfen verharrten dort und fielen dann in einen Krug. An der Küchenwand hingen ein präparierter Wolfskopf und ein buschiger Schwanz, ein Wandbehang mit einem Jagdmotiv und ein Foto, das den Toten und eine
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