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Stadt der Liebe

Stadt der Liebe

Titel: Stadt der Liebe
Autoren: Heinz G. Konsalik
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blauen Himmel. Und tanzende Falter … Und dann der schwarze, schreckliche Rauchwurm, der den Himmel schändete, nicht mehr blau war der Himmel, sondern schwarz und an seinen Rändern vom Brand zerfressen. So oft gesehen dieses Bild! Wieder und wieder hat es Alain Chartiers Schlaf begleitet.
    Gott hatte Jeanne verlassen. Irgendwo zwischen Reims und Rouen, wo die Feinde sie gefangen nahmen, war er ihr abhanden gekommen.
    »Leb wohl, Alain. Halt die Tinte feucht …«
    Es gibt Vergangenheiten, die nicht vergehen, Bilder, die nie verwehen: … an einen Pfahl aus glühendem Eisen gekettet. Vom Feuerbrand umtobt … und ein fetter, schwarzer, geiler Rauchwurm im blauen Himmel …
    Am Tag, als Jeanne, ›la Pucelle‹, das kleine Bauernmädchen aus Domremy, das, der Stimme Gottes folgend, ausgezogen war, ihre Heimat zu befreien und einen König zu krönen, in Rouen verbrannt wurde, an diesem Tag war Alain Chartier für niemanden zu sprechen. Er hatte versucht zu beten, das ja. Doch wie? Zu einem Gott, der Jeanne, die Jungfrau, ebenso verraten hatte wie der Mann, dem sie ein Land und eine Krone erobern wollte – ja wie denn?
    Alain Chartier hatte sich in das Turmzimmer zurückgezogen, das er im Königsschloß von Chinon bewohnte. Er war für niemanden zu sprechen. Weder für die Schreiber, die ihm, dem königlichen Sekretär, unterstanden, noch für seinen väterlichen Freund, den Erzbischof von Reims.
    Er hatte ein Gedicht im Sinn … All seine Qual und seinen Zorn sollte es in Worte fassen. Doch kein Gedanke, nicht ein Wort wollte ihn erreichen. Er zog eine Kerze heran, entzündete sie, hielt die Hand dicht, ganz dicht an die Flamme, begann ein Ave Maria zu sprechen, schloß die Augen – um dann mit einem Schmerzensschrei hochzufahren.
    Noch nicht beim ersten ›gebenedeit‹ war er angekommen – und hatte schon aufgeschrien.
    Bilder, die nie verwehen.
    Alain Chartier stöhnte.
    Vergangenheiten, die nie vergehen. Dies war lange, war viele, viele Jahre her.
    Nun lag er auf seiner Bank im Park de Boulogne. Doch die Hand brannte. Er warf sich herum, streckte sich aus, legte sie auf seine Brust.
    »Ihr seid ein Patriot wie ich, Chartier«, hörte der träumende Alain die Stimme des Alten aus dem Park. Und was war da noch? »Beide lieben wir nicht nur den König, beide sehen wir im Dauphin die Zukunft.« Die Stimme aus dem Park – eine Gespensterstimme!
    Lieben? Herren zu lieben? Nichts als eine Gratwanderung zwischen Hölle und Abgrund. Hundert Jahre Krieg erlitt Frankreich, hundert Jahre Raub, Tollheit, Todschlag, Aufstand, Fürstenwahn und Bruderzwist. Und die Seuchen und den Tod dazu. Was wußte das Gespenst?
    Alain Chartiers Lider zuckten. Und der Mund lächelte nun nicht länger. Er zitterte und wurde hart …
    Bilder, die nie verwehen, Worte, die nicht vergehen.
    »Chartier!«
    »Sire?«
    »Was starrt ihr mich so an? Was hätte ich tun können für sie? Was denn, Chartier? Es war Gottes Wille. Wir hätten Chinon nie verlassen dürfen. Wir alle nicht … Jeanne d'Arc war keine Hexe, Alain. O nein. Aber verrückt war sie, wahnsinnig.«
    So sprach er, Karl VI., König von Frankreich, so sprach er von dem Mädchen, dem er die Krone verdankte, so sprach er von einer Heiligen, die die Engländer auf Frankreichs Boden verbrannten, ohne daß er auch nur einen Finger gerührt hatte.
    Und er, Alain Chartier? Was hatte er getan? Er hatte geschwiegen, den Rücken vor dieser Kleiderpuppe von König gebeugt und zugesehen, wie er in seine Kapelle schlurfte, um wieder einmal die spitze Nase vor dem Erlöser, nein, vor Gott dem Herrn und ›seinem Willen‹ zu senken …
    Ein Gedicht hatte Alain damals in derselben Nacht geschrieben.
    Ihr Herren, Knechte, Pfaffen, Volk, die ihr in Blindheit Gott anruft, um Eure Rechte einzuklagen. Nun laßt Euch sagen, daß Gottes Wille in mächtiger Stille fortschwemmt, was sich ihm entgegenstemmt. – Stark, stumm und ohne je zu fragen.
    Damals, in diesem dunklen Jahr der Kämpfe, der Hoffnung, des Verrats und des Grauens, damals, in den Tagen, als sich Karl in seiner Kapelle verkroch, war der portugiesische Gesandte mit einer ganzen Delegation ins Schloß gekommen. Unter den Geschenken, die er mitgebracht hatte, befand sich ein sonderbarer Gegenstand. Ein getrocknetes Tier.
    Ein Fabelwesen. Aus Afrika, hatte ihm der Marques erklärt. Gut, aus Afrika – und dennoch unglaublich und ein Gleichnis zugleich: Ein Fisch mit Flügeln, ein Fisch, der fliegen kann! Dem Strom sich entgegenstemmen. –
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