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Spuren des Todes (German Edition)

Spuren des Todes (German Edition)

Titel: Spuren des Todes (German Edition)
Autoren: Judith O'Higgins , Fred Sellin
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Betracht ziehen musste. Der Spannungszustand der Muskulatur kann nach dem Tod auch so erschlaffen. Ein klaffender Anus hat somit nicht zwangsläufig etwas zu bedeuten. Das Blut am Anus schien nicht aus einer Wunde in diesem Bereich zu stammen. Es sah eher aus wie eine Kontaktspur. So nennt man es, wenn Blut von woanders an eine bestimmte Stelle gelangt, beispielsweise indem eine blutende Wunde mit der Hand berührt wird, ein Teil des Blutes daran haften bleibt und an die Stelle übertragen wird, die man mit der Hand als Nächstes anfasst. Das mochte auch in diesem Fall so gewesen sein. Allerdings musste man sich fragen, ob die anderen Befunde nicht dennoch dafür sprachen, dass eine anale Vergewaltigung stattgefunden hatte.
    Den Beamten der Spurensicherung war ungefähr einen Meter neben der Couch ein silbrig glänzender Fleck auf dem Boden aufgefallen. Das konnte gut Sperma sein. Doch die Flüssigkeit war bereits eingetrocknet. Sprach das für oder gegen die Vergewaltigungstheorie? Wie lange dauerte es, bis ein paar Tropfen Sperma eingetrocknet waren? Konnte der Fleck auch schon einige Tage alt sein? Und war es überhaupt Sperma?
    Aber noch wichtiger war, festzustellen, ob sich in der Scheide und im After Spermaspuren befanden. Dafür nahm Jan Abstriche, auch aus der Mundhöhle, das gehört zum Standardprogramm. Die Wattetupfer, die er dafür verwendete, würden später im Labor untersucht werden.
    Und noch ein Rätsel gab uns die Leiche auf: Obwohl gefesselt, fanden sich zwischen den Fingern beider Hände Haare, die farblich mit dem Kopfhaar der Frau identisch waren: blond, mit einem leicht orangefarbenen Ton. Auch die Länge stimmte überein. Sollte sie sich die Haare selbst ausgerissen haben? Doch warum? Und vor allem wann? Das wäre nur möglich gewesen, bevor sie gefesselt worden war. Vielleicht hatte sie sich gegen Schläge schützen wollen, dabei die Unterarme in Abwehrhaltung vors Gesicht genommen und die Hände ins Haare gekrallt. Oder hatte sie einfach nur versucht, sich auf diese Weise der Fesselung zu entziehen?
     
    Fragen über Fragen, und das sollten längst nicht die letzten bleiben. Doch zunächst hatte ich selbst ein kleines Problem zu lösen. Unser Einsatz am Tatort näherte sich gerade dem Ende, als ich auf einmal ein zutiefst menschliches Bedürfnis verspürte. Offenbar hatte ich es schon eine ganze Weile unterdrückt, unbewusst, weil ich nichts verpassen wollte. Aber nun duldete es keinen Aufschub mehr. Auf jeden Fall hätte die Rückfahrt nach Hamburg viel zu lange gedauert. Die Toilette im Badezimmer konnte ich aber auch nicht benutzen, galt ja alles als Tatort, und damit war es erst mal Hoheitsgebiet der Spurensicherung.
    Da fiel mir ein, dass es neben dem Haus eine Wiese gab. Erst dahinter fing der Wald an. Und falls ich es bei unserer Ankunft in der Dunkelheit richtig erkannt hatte, standen auf dieser Wiese einige Büsche. Das war die Lösung. Dachte ich.
    Vielleicht sollte ich erwähnen, dass die Polizei inzwischen mit Hochdruck nach dem jungen Mann fahndete. Aufgrund der Schilderungen des Nachbarn galt er als dringend tatverdächtig. Da er kein eigenes Auto besaß und auch schlecht eins auf der Straße hätte anhalten können – um diese Zeit schien sich ohnehin niemand in diese Gegend zu verirren –, war es gut möglich, dass er sich noch irgendwo in der Nähe versteckt hielt.
    Ich könnte nicht einmal sagen, ob ich das Motorengeräusch des Hubschraubers gleich wahrnahm, oder zu sehr damit beschäftigt war, möglichst schnell ein geeignetes Plätzchen zu finden, wo ich mich hinhocken konnte. Spätestens aber in dem Moment, als der Lichtkegel eines Suchscheinwerfers wie ein riesiger illuminierter Finger von oben über das Areal streifte, hoffte ich nur noch, dass das Blätterdach über mir dicht genug sein würde. Aber da hatte er mich schon erwischt.
    Es mag höchstens vier oder fünf Sekunden gedauert haben, bis der »Finger« weiterschwenkte. Doch in der verräterischen Pose, die ich so schnell ja nicht verändern konnte, kam es mir vor, als sei ich eine Stunde intensivster Festbeleuchtung ausgesetzt gewesen. Wenigstens schien der Hubschrauberbesatzung die Zeit – und wohl auch die Intensität des Lichts, das so grell war, dass ich automatisch meine Augen schloss – genügt zu haben, um zweifelsfrei zu erkennen, dass ich nicht derjenige war, nach dem sie suchten.
    Als der Spuk vorüber war und sich um mich herum wieder Dunkelheit ausgebreitet hatte, schoss mir ein anderer
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